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[   Band 4 Brief 216:    Caroline an Humboldt     Berlin, 26. November 1814   ]


sind so konfus beschrieben, daß es ein greulicher Anblick ist. Der
Arme schmerzt mich ungemein, denn in sich hat er doch wohl bei
diesem unruhigen Treiben kein Glück, keinen inneren Frieden und
Klarheit.
Straßburg, fällt mir bei Schweighäuser ein, hat mir als Stadt
aber recht sehr gefallen. Sie sieht aber auch gar nicht wie eine
französische, sondern recht eigentlich wie eine deutsche aus, was nach
einem solchen Zeitraum von Jahren, wo sie unter französischer
Botmäßigkeit steht, recht eigen ist und für ihre Eigentümlichkeit
spricht. Auf die arme Therese *) machte das einen wunderbaren
Eindruck, sie fühlte das und sagte nachher, wie sie mir in Rudol-
stadt ihren Seelenzustand ganz entdeckte, mehrere Male: »Cette ville
m’a fait un mal terrible, j’avais tant désiré voir Strassbourg,
toucher le sol de mon pays, mais quand je l'ai vue, cela m’a.
fait mal, ce n’étaient que des Allemands, c’était une ville
allemande.«
Gestern abend war ich bei der Recke, Parthey **), Goeckingk ***),
der junge Biester †) und mehrere junge Mädchen waren bei ihr, denn
sie hat das an sich, noch immer ein Heer von Pflegetöchtern und
Kindern gewesener Pflegetöchter um sich zu haben. Es ist immer
wie ein Waisenhaus um sie herum, inmitten dessen sie predigt.
Denn predigen tut sie mehr wie je, sieht aber übrigens gut aus,
obgleich sie immer klagt.
Goeckingk hat das Alter sehr still gegen sonst gemacht, seine
Züge haben das Schroffe verloren, eigentlich ist er schroffer ge-
worden. Aber das Feuer ist in ihm erloschen, jedes scheint es, er
spricht von den Kleinigkeiten, die vor 30 und 40 Jahren die

———
*) Vgl. S. 320.
**) Nicolais Schwiegersohn.
***) Vgl. S. 405.
†) Sohn des Bibliothekars Biester, der Nicolais und Mendelssohns
Freund war.

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