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[   Band 2 Brief 93:    Humboldt an Caroline    Marino, 15. August 1804   ]


mir jetzt freilich schon lang, aber gegen die Zeit, die wir ungestört
miteinander waren, doch im Grunde nur wenige Monate, und ich
empfinde es so unendlich. Ehe Du niedergekommen warst, hat mich un-
glaublich oft der Gedanke der bloßen Möglichkeit, daß Du mir entrissen
würdest, verfolgt. Ich hätte mir keinen schrecklicheren Moment zu
denken vermocht. Wenn es je sein soll, so möge es wenigstens erst
sein, wenn alle Kinder groß sind und keins mehr der Sorge bedarf.
Den tiefsten Schmerz erträgt man nur dann, wenn es nicht mehr not-
wendig ist, ihn geduldig zu tragen, oder wenn das Herz wenigstens
nur mit der Einsamkeit zu leben braucht und mit sich. Aber so ist
alles glücklich vorübergegangen, wir werden uns froh wiedersehen
und wieder wie bisher leben. Ich freue mich unendlich auf diese
Zeit, und jetzt rückt sie mit Macht heran. Aber immer bitte ich Dich,
bleibe, solange es Dir Freude macht, und kürze nicht zu sehr ab.
Mit dem Prinzen *) muß etwas vor sein. Er schreibt mir aus
Nymphenburg bei München, er werde mir bald eine glückliche Be-
gebenheit melden können. Das kann nur seine bayrische Heirat sein.
Wolf **) und Goethe haben mir auch geschrieben. Ersterer schreibt
sehr herzlich von Dir und seiner Zusammenkunft mit Dir in Burg-
örner, letzterer gleichfalls, aber immer, vermutlich weil en détail, steif
und manchmal wie in den Erzählungen der Ausgewanderten. Er
will hier eine Medaille auf den Kurfürst-Erzkanzler ***) prägen lassen.
Es ist eine einfältige Idee, das nicht in Paris zu tun, wo man viel
besser schneidet und prägt. Aber die Vorliebe für Rom verdient auch
Nachsicht. Er schreibt über Wilhelm Tell wie Du. Ich habe ihn noch
immer nicht. Er lobt Fernow †) sehr und scheint über Böttigers ††)

———
*) Georg, Erbprinz von Mecklenburg-Strelitz, der sich indessen erst als
Großherzog 1817 mit der Tochter des Landgrafen Friedrich zu Hessen-Kassel
vermählte. — **) Vgl. S. 17. — ***) Dalberg. — †) Vgl. S. 152. —
††) Böttiger, klassischer Philologe, seit 1791 Direktor des Gymnasiums in
Weimar, ging 1804 als Hofrat nach Dresden, scharf ironisiert im Brief-
Wechsel Schiller-Goethe.

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