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[   Band 2 Brief 93:    Humboldt an Caroline    Marino, 15. August 1804   ]


mit Deinen Tränen benetzen würdest. Ach! sie ist nun die erste
und einzige unter uns, die ihn nicht kennt, und er hatte eigentlich
so viel Sinn für Geschwisterfreuden, ging immer so artig mit der
Adel um. Ich wollte gestern erst nach L’Ariccia gehn und hätte es
getan, wenn Reinhart *) nicht dort wohnte. Aber unbemerkt konnte
ich nicht bleiben, und mit einem andern umgehn, war mir unmöglich.
Ich bin also mit meiner kleinen Adel geblieben. Ich hatte niemand,
dem ich nur sagen mochte, daß es der Tag sei. Der süßen Kleinen
hätt ich es wohl gesagt, aber sie faßt es noch nicht. Für sie ist
sein Tod nur eine Nebenidee der Pyramide. Am Abend spät war
ich noch am Albaner See und saß lange da. Es war ein himmlischer
Mondschein und ein herrlich klarer Himmel. Ich bleibe doch dabei, in
einem anderen Lande hätte der Schmerz über den armen Wilhelm
etwas Düsteres und Zerreißenderes noch gehabt, etwas, wovor die
eigene Seele, selbst bei der heißesten Liebe zum Gegenstand, dennoch
zurückschaudert. Aber hier ist wieder die Sehnsucht unendlicher. Je
erweiterter die Brust sich fühlt durch die Größe und ruhige Heiter-
keit der Natur, desto tiefer wird sie auch durch dies namenlose Sehnen
erschöpft. Ich lebe trotz dieser wehen Gefühle in einem großen inneren
Genuß. Seit langer Zeit habe ich nicht so eigentlich in der Natur
zugebracht; ich lasse auch vieles darüber liegen und bin nicht eben
fleißig. Aber der Zug, den diese Gegend auf das Gemüt ausübt,
ist unbeschreiblich, man kann sich nicht losreißen. Meine Geschäfte
mache ich in Rom ab, und hier lasse ich mich ganz frei gehn. Das
Leben mit seinen Empfindungen ist eigentlich doch das Beste, was
der Mensch hat, die Stimmung dazu ist selten rein; wenn sie es ist,
muß man den Moment benutzen. Je mehr ich es aber tue, desto-
mehr, liebe, teure Seele, fehlst Du mir, Dein Gespräch, ja nur Dein
Anblick. Es ist unbegreiflich, wie schon das bloße Nebeneinander-
leben der Menschen, die sich verstehen und sich lieben, wirkt; Du fehlst

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*) Vgl. S. 211.

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