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[   Band 7 Brief 154:    Humboldt an Caroline    Jena, 21. Dezember 1826   ]


Caroline hat nun auch einmal bei Goethe das schöne Gedicht
gelesen, von dem ich Dir sagte, und das sein Verhältnis zu der
Badebekanntschaft betrifft *). Sie ist auch durchaus meiner Meinung,
daß es zu dem Besten und Trefflichsten gehört, was er je gemacht
hat. Ich freue mich wieder sehr auf ihn, und ich hoffe, durch die
Fêten noch mehr Ruhe und Muße zu bekommen, ihn zu sehen.
Mit meiner Bibliothekarbeit bin ich heute fertig geworden,
und es haben sich hier mir Aussichten eröffnet, durch die Herrn-
huter vielleicht mehr über einige amerikanische Sprachen zu erhalten.
Fries ist bei den Herrnhutern erzogen und kennt die Menschen und
Verhältnisse dort genau.
Der taube Scheidler, der Philosoph, aß heute bei Carolinen.
Er hatte großes Interesse an meiner »Bhagavad Gitâ« gefunden,
und wünschte mit mir davon zu sprechen. Er ist ein enthusiastischer
Verehrer Schleiermachers und sprach heute auch von dessen früheren
Schriften, namentlich von den Monologen. Hast Du denn die
je gelesen? Die Herz hat sie gewiß.
Starken habe ich heute doch auch besucht, nämlich den kleinen
Vetter, der jetzt der alte Stark hier heißt. Die Tochter unseres
alten Stark oder vielmehr eine seiner Töchter ist Okens Frau,
und ich sah sie gestern bei ihrem Mann.
Heute fuhr ich mit Carolinen spazieren, sie fährt eigentlich
sonst alle Nachmittage. Wir fuhren nach der Rasenmühle, wo
wir, wie Du Dich vielleicht besinnst, öfter waren, einmal mit
Alexander. Wir fuhren damals in der grünen Chaise, die wir
damals für ein wahres ἄγαλμα **) hielten. Wir waren damals
wenig reich und hatten doch einen schöneren Wagen, als mein
jetziger grüner ist. In dem kann man aber auch nur fahren, wenn
man sehr reich und noch dazu Exzellenz ist, sonst geht es nicht.

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*) Vgl. S. 187f.
**) Kleinod.

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