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[ Band 6 Brief 210: Humboldt an Caroline Frankfurt, 31. Mai 1819 ]
Wenn man nur überhaupt recht festhält, das Gute, was noch vor- handen ist und was (wie man es frei gestehen muß) auch neu aufkeimt, zu hegen, zu beschützen, nicht gleich die Dinge zu ver- achten und zu schelten, weil sie auch etwas Lächerliches, Schiefes, selbst ganz und gar Tadelnswürdiges an sich tragen, sondern sich zu bemühen, dies zu vertilgen, ohne sich darum des mitverbundenen Guten zu berauben, so muß es gehen. Aber großer Ernst ist nötig, große Selbstverleugnung von vielen, im Stolz, der Blindheit und der Gemächlichkeit läßt es sich nicht fortschlendern. Sand lebt noch. Die Kotzebuesche Familie ist abgereist. Sie scheint Deutschland und auch Königsberg, wo das Publikum sich der Totenfeier im Theater widersetzt hat, zu vermeiden, denn sie ist von Dresden gerade über Warschau zurückgegangen. Kotzebue ist nach seinem Tode eigentlich schlimmer behandelt worden als vorher. Selbst wo die Tat auf das strengste beurteilt wurde, hat man nie ein Wort zu seinem Lobe gesagt, aber viel Entgegengesetztes. Du weißt wohl nicht, daß Stourdza *) eine Tochter Hufelands **) in Berlin geheiratet hat? Merkwürdig ist, daß diese bis dahin (ob weiter, weiß ich nicht) ganz im frappanten deutschen Sinn war, und z. B. immer das Kostüm der langen wallenden Haare trug. Stourdza ist seinem Vater nach ein Wallache, seine Mutter ist eine Griechin. Der Beschützer der — ? — [gemeint ist Gneisenau] scheint sich ja in alles und nicht sehr glücklich zu mischen. Er wird dabei und dadurch verlieren, worum er doch sonst sehr zu buhlen pflegt. Die falschen Maßregeln werden doch ihre Schranken finden. Es haben einmal zu viel Leute richtige Begriffe. Gar sehr falsche sind gerade von Italien her, diesem Ort, von dem, den Du in Rom so ge- ——— *) Vgl. S. 512. **) Christoph Wilhelm Hufeland, geb. 1762, † 1836, berühmter Me- diziner. 556