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[   Band 6 Brief 75:    Humboldt an Caroline    London, 21. April 1818   ]


75. Humboldt an Caroline                         London, 21. April 1818

Am 19., liebe Li, schrieb ich Dir zum erstenmal im vorigen
Frühjahr nach München, es ist nun ein volles Jahr her,
das in vieler Sehnsucht mir verstrichen ist, und an dessen
Ende ich noch lieber stehen würde, wenn unsere Wiedervereinigung
nahe wäre. Allein, leider werden sich noch manche Monate hin-
ziehen, ehe ich Dich wieder besitze. Ich kann nicht sagen, daß mir
dies Jahr viel Freude gebracht hätte. Auf den eigentlichen Genuß
des Lebens leistete ich natürlich Verzicht, da ich von Dir getrennt
war. Aber auch meine Tätigkeit konnte mir keine sonderliche Freude
gewähren. Die in Berlin war allerdings mit Gelingen und Beifall
begleitet, allein es war ein sehr unfruchtbarer Sieg, und dabei ist
es immer ein unangenehmes Geschäft, als Gegner austreten zu
müssen, vorzüglich für mich, der ich nie streitsüchtig bin und lieber
selbst wirke. Worüber man damals mit Recht klagte, das ist aller-
dings hinweggeräumt, allein, was an die Stelle getreten, ist auch
nicht besonders erfreulich. Hier ist nun gar keine Gelegenheit, etwas
Sonderliches zu tun. Selbstgewählten Beschäftigungen mußte ich,
seit ich mit Dir zum letztenmal Burgörner verließ, ganz entsagen;
die Dotationsangelegenheit ist um nichts weitergerückt, und für das
übrige Vermögen muß ich eine strenge Wachsamkeit führen, um mich
ohne Verminderung durch die schwierige Zeit hier durchzubringen.
Ich habe einen langen Brief von Brinkmann *), ganz wie ehe-
mals, dieselbe Hand, dasselbe Geschwätz, dieselben unterstrichenen
Worte. Ich hatte ihm den Agamemnon geschickt — den ich gottlob
nun gar nicht mehr habe — er sagt, daß er ihn längst besitzt, lobt
ihn sehr, geht auch in vieles ein, sagt aber, was mir sehr merk-
würdig gewesen ist, kein Sterbenswort über die Einleitung, die doch
unstreitig so sehr das Beste daran ist, daß man das andere an-

———
*) Vgl. S. 150.

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