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[ Band 5 Brief 144: Caroline an Humboldt Venedig, 11. Mai 1817, abends ]
Palast des Dogen haben wirklich etwas fabelhaft Schönes, Wunder- bares, es ist in dieser Pracht des Materials, diesen Säulen, Ver- zierungen, diesen Mosaiken, diesem kostbaren Fußboden, in der Anordnung und Bestimmung des Ganzen etwas ganz Eigenes. Die vergoldeten bronzenen Pferde, der Löwe stehen wieder auf ihrem alten Platz. Ich war mit den Kindern heute oben auf dem Vorsprung, wo sie stehen, und fand sie schöner denn ehemals, wo ich sie in Paris sah. Von Verona sind wir ohne besondere Abenteuer hergefahren. Wir wohnen in der Regina d’Inghilterra, nahe am Markusplatz. Heute sind wir vier Stunden lang in dem Palast des Dogen ge- wesen. Die meisten Bilder, die man nach Paris mitgenommen hatte, sind wiedergekommen, indes einige nicht. Man sagt, die in den Tuilerien aufgehängt gewesen wären, hätte Ludwig XVIII. behalten. Cicognara *) habe ich hier gefunden, gesehen, und morgen wird er mit uns die vorzüglichsten Kirchen und Galerien sehen, auch seine Frau war bei uns. Über die Berliner Dinge sage ich nichts, nicht daß sie mich nicht interessierten, allein ich glaube, es ist so diskreter. Den Ausschlag in Deiner eigenen Lage erwarte ich, wie Du denken kannst, mit großer Begierde. Ende Mais, denke ich, muß es sich doch zeigen. Eine sehr große Freude und Genuß ist’s mir, den Goethe, seine italienische Reise meine ich, auf dieser zu lesen. Es ist eine un- nachahmliche Wahrheit der Empfindung, eine Tiefe der Erfassung der Gegenstände darin, große Einfachheit und doch Schmuck in der Sprache. Lies es doch, geliebtes Leben. Den 31. Mai oder 1. Juni hoffe ich in Rom einzutreffen. Die Sehnsucht danach wächst mit jedem Schritt, den ich vorwärts ——— *) Leopold Graf v. Cicognara, geb. 1767, † 1834, italienischer Kunstschrift- steller, seit 1808 Präsident der Akademie der schönen Künste in Venedig. Vgl. Bd. III., S. 5. 305