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[ Band 4 Brief 150: Humboldt an Caroline Dijon, 31. März 1814 ]
Du kannst Dich nicht halb so sehr auf Deine Reise freuen, als ich es für Dich tue. Denn es kränkt mich schon längst, daß Du so unbeweglich in Wien sitzest, das schlechterdings kein Ort für Dich ist, so mancherlei Vorzüge er auch immer sonst vereint. Selbst für den Fall, daß ich in Wien bliebe, habe ich andere Pläne, von denen man aber nicht eher reden muß, bis es not tut. Heute ist ein Rittmeister von Wedell mit 60 Kosaken zur Armee geritten. Ich wäre für meine Seele gern mit ihm gegangen. Es muß da viel interessanter als hier sein. Wo wir im Sommer sein werden, ruht freilich noch im Schoß der Götter, und Du billigst gewiß, daß ich jetzt, da ich einmal so lange darin bin, das auch zum Hauptziele nehme und da zu sein suche, wo ich glaube, daß man mich am meisten und ersten brauchen kann. Wieviel auch schon geschehen ist, so ist immer noch sehr viel übrig, und ich möchte das Gefühl haben, wenigstens bei allem gegenwärtig gewesen zu sein. Ohne einen großen Ausgang bleibt es, wie die Dinge jetzt stehen, nicht. Einmal als in Chatillon von unserm täglichen Schreiben die Rede war, sagte Razoumoffsky *), er begreife wohl, wie Du alle Tage schriebest, aber wie ich es könnte, da ein Mann so oft zu tun habe? Die Menschen fühlen nichts, ein Mann gerade hat fast immer Zeit zum Schreiben. Denn das leidige Geschäftstreiben wirft ihn aus aller Innerlichkeit hinaus, und nun ist der Tag sehr lang. Aber die Frauen vertiefen sich viel schöner in einsames Sein, und da findet sich kein leerer, müßiger Augenblick am längsten Tage. Ich begreife das unendlich wohl. Es kann sein, daß die weibliche Existenz nicht gerade die glücklichste ist, obgleich ich noch keine recht edle Frau mit ihrem Zustand überhaupt unzufrieden gefunden habe; aber die schönste Existenz ist es gewiß und die des Mannes dagegen recht gemein und alltäglich, auch in den größten Geschäften. ——— *) Vgl. S. 218. 293