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[ Band 3 Brief 134: Humboldt an Caroline Königsberg, 27. November 1809 ]
so unterrichtet, nicht in jedem Kinde das Talent, groß oder gering, soweit als seine Natur ihm erlaubt, ausgebildet werden sollte. Die Kinder müssen erst mit der Hand und dem Fuß, dann mit der Stimme gleiche und ungleiche Takte unterscheiden, dann teilen und alle Arten des Taktes durchmachen. So werden sie geübt, wenn der Lehrer singt, unmittelbar die Taktarten, deren er sich bedient, aufzuschreiben, und umgekehrt die, welche er aufschreibt, ohne weiteres abzusingen. Ebenso geht es mit der Melodie. Man gibt ihnen einen Ton, sagt nur, um wieviel höher oder tiefer der Ton sein soll, den man verlangt, und die Kinder machen ihn. Sie machen Übergänge aus einem in den andern, die, wie mir Radziwill *), der viel Musik weiß, sagt, überaus schwer sind. Der Lehrer nennt ihnen die Töne der Skala nach Zahlen, und wie er nun die Finger, um die Zahlen anzudeuten, anfaßt, so singen die Kinder, und sehr richtig. Ebenso, wenn der Lehrer singt, schreiben sie ohne Anstand die Noten auf. Es wird ihnen auch aufgegeben, eine Reihe von Tönen in gewissen, bestimmten Taktarten, sonst aber willkürlich aufzuschreiben und so ist darin zugleich eine Übung im eigenen Komponieren. Da nun diese Übungen schon mit dem achten Jahre anfangen, wo es unmöglich sein würde, die Stimme sehr anzu- greifen, so arbeiten sie notwendig dem ferneren Musikunterricht sehr vor. Vorzüglich schön ist aber der Zusammenhang, in dem so Musik und Mathematik gleich unmittelbar gestellt werden, denn dieser Musikunterricht begreift alle Verhältnisse der Töne. Eine sehr hübsche Einrichtung ist noch, daß die 30 Kinder wieder in sechs bis acht einzelne Schulen geteilt sind, deren jeder ein Kind als Schulmeister vorsteht. Der Lehrer unterrichtet nur eine Viertelstunde, dann nehmen die schon stärkern Kinder selbst als Schulmeister die schwächern vor und gehen mit ihnen die Lektion ——— *) Vgl. S. 135. 283