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[ Band 2 Brief 76: Humboldt an Caroline Rom, 6. Junius 1804 ]
heute 25 1/4 Grad, wie ich am Thermometer sehe. Ich setze das letzte im Ernst hinzu, denn gefühlt habe ich sie eigentlich nicht. Ohne absolute Notwendigkeit gehe ich vor 6, 7 Uhr den Abend nicht aus, meist aber erst um 8, 9 bei Sternenlicht aufs Capi- tolium und den Monte Cavallo, meine alten Gänge. Einmal die Woche mache ich jetzt regelmäßig eine weite Wanderung mit Zoëga *). Aber da nehmen wir kühlere Tage und auch erst nachmittags, künftig vielleicht ganz früh. Ich genieße Rom noch immer un- endlich, und erst jetzt, da mein einsamer Tee mich des Abends nicht reizt, habe ich die himmlischen Effekte des Mondes und auch bloß sternenheller Nächte recht kennen gelernt. Ich schlendere meist alle Tage eine eineinhalb Stunden so herum; ach! wie oft denk ich dann an Dich, wie wir sonst so lange auf einen Stern warteten und der große Bär über dem Kirchberg **) uns manchmal so fürchterlich er- schien. O! liebe Li, ich segne noch immer unser Schicksal, das uns die ersten Jahre unserer Heirat so zurückgezogen und einsam verleben ließ. Ich weiß wohl, daß ich zum eigentlichen Tun diese muße- reiche Zeit hätte besser benutzen können und sie vielleicht bei mehr äußerem Anstoß besser benutzt hätte. Aber ich habe mich für das ganze Leben in dem Hange bestärkt, in tiefer Stille was ich liebe, die Natur und mich selbst zu genießen und daraus eine solche Ruhe zu schöpfen, daß das mancherlei Fremdartige, was jeder im Leben und immerfort tun muß, mich nie mißmutig oder gar bitter macht. Das Leben leicht tragen und tief genießen ist ja doch die Summe aller Weisheit. Mit niemand hätte mir das letzte so unendlich ge- lingen können als mit Dir, Du liebe, gute Li. Denn in Dir ist immer und in jedem Augenblick das echte und reine Wesen der Dinge, Du nimmst sie immer ganz und unverändert auf, und bist der treuste Spiegel der Natur, den ich je gesehen habe. ——— *) Vgl. S. 126. — **) Bei Burgörner. 179