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[   Band 2 Brief 16:    Humboldt an Caroline    Erfurt, 3. April 1797   ]


sich aber hübsch einrichten lassen und hat eine gute freie Lage. Am
meisten ist mir aufgefallen, daß ich gleich beim Hereintreten ein
noch dazu nicht sonderlich gemaltes Bild von Wolzogen ins Auge
bekam. Was doch die Leute für eine Wut haben, sich zu ver-
doppeln.
Ich dachte wirklich, heute morgen zu arbeiten, aber Du hattest
sehr recht, daß es nicht gehen würde. Es ist unmöglich, in die rechte
Stimmung zu kommen. Auch haben nacheinander heute früh Papa,
Barozzi und der alte Lamberti mich unterbrochen. Hätte ich nur
den Agamemnon *) in Jena vollenden können! Ich fürchte diese Unter-
brechungen recht ernsthaft.
Ich schicke Dir hier eine Abschrift eines angefangenen Chores
aus Goethes gelöstem Prometheus **), ein Gespräch der Okeaniden
mit Prometheus. Es ist äußerst unvollendet noch und an einigen
Orten nicht einmal verständlich. Auch sind das Blut, die Wäsche
usw. unangenehme Bilder, dennoch dachte ich, würde es Dir Freude
machen. Man sieht ungefähr, wie Goethes Brouillons aussehen,
und einzelne Bilder, wie das vom Zuschließen der Wunde sind doch
merkwürdig, wenn ich sie auch nicht gerade schön nennen möchte.
Auch den Schwamm des Meeres gelinde Geburt zu nennen, wird
Dir sicherlich gefallen. Goethe hat es mir mitgegeben, um ihm ein
passendes Silbenmaß dazu aufzufinden.
Adieu nun, Du teure, liebe Li! Verzeih ja den verwirrten Brief,
aber ich bin ein paarmal unterbrochen worden. Lebe herzlich wohl,
umarme die Kleinen und küsse Deinen Bill in Gedanken. Grüße
Burgsdorff herzlich.

———
*) Übersetzung des »Agamemnon« des Äschylus erschien 1816 im Druck.
Vgl. S. 25. — **) Trauerspiel, das unvollendet blieb. —

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