< zurück Inhalt vor >
[ Band 1 Brief 162: Humboldt an Caroline Tegel, Montag, 6. Juni 1791 ]
162. Humboldt an Caroline Tegel, Montag, 6. Juni 1791 Ich dachte Dir so viel von hier aus zu schreiben, meine Li, und wurde wieder so gestört daran. Es waren Menschen bei uns, die die Nacht blieben und mir die schönen Abende raubten. Und verlier ich die Abende, dann ist am Tage nicht viel zu tun. Ich führe hier ein sonderbares Leben, und meine Li würde sich wundern, wenn sie mich sähe. Nur den Vormittag bin ich, wenn keine Fremde hier sind, allein, den ganzen Nachmittag bring ich mit meiner Mutter zu. Du kannst leicht denken, welch eine Leere da herrscht, aber ich weiß nicht, ich bin doch ruhiger als in Berlin, treibe mich weniger um, weine stiller und fühle mich in süßer Wehmut aufgelöst. Mit Mama gibt’s denn auch mancher- lei Besichtigungen, Besehen, Bestellen, vor allen Dingen aber Be- gießen. Du kennst ihre Passion zum Regen. Da der Himmel nun hier wenig Regen schickt, so ist das ein Begießen, das kein Ende nimmt, und da eine Gießkanne noch nicht genug Wirkung tut, hat ihr Kunth eine Spritze machen lassen; nun ist dies, sobald der Abend angeht, ein Spritzen, daß kein Mensch mehr seiner Trocken- heit sicher ist. Ich helfe Mama dabei und habe selbst Geschmack daran gefunden. Arme Närrchen von Blumen und Bäumen heben so erquickt die Köpfe empor, und ist, als freuten sie sich der Labung. Dann hab ich noch ein großes Vergnügen an den Tauben. Sehe ihnen halbe Stunden lang zu, wie sie sich nachgehen, wie die Täuberiche so erst suchen, bis sie eine Geliebte finden, und wenn sie eine fanden, so treu nun bei ihr bleiben. Von jeher ist’s meine Freude gewesen, den Tierchen zuzusehen. Lesen tue ich fast nichts hier, hie und da nur in Deinem Bode *). Denn die Sterne versäume ich nicht. Ach! bei den Sternen find ich ja die Blicke meiner Li, da begegnet meinem sehnenden Auge ——— *) Vgl. S. 275. 479