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[ Band 1 Brief 91: Humboldt an Caroline [Berlin], Montag, 8. November 1790 ]
91. Humboldt an Caroline [Berlin], Montag, 8. November 1790 Gestern früh ging ich um sechs Uhr aus, es blinkten noch ein paar Sterne, ich ließ sie Li grüßen, aber sagten mir, Li schliefe noch . . . . Aber ich wollte erzählen, wie ich um sechs Uhr ausging. Ich lerne jetzt hebräisch bei Spaldings jüngstem Sohn, den ich wohl leiden mag, weil er ein guter, wenn- gleich wohl oft ein etwas platter Mensch ist. Die Sprache interessiert mich bloß um ihrer selbst willen. Sie weicht so erstaun- lich von allen andern ab, und sie trägt noch so viele Spuren von der ersten rohen Ideenentwickelung. Das ist mir überhaupt beim Sprachstudium fast allein wichtig, daß man die vielfältigen Arten kennen lernt, in welcher die Ideen ausgedrückt werden können. Der eigne Ausdruck in der Sprache, in der man nun selbst schreibt oder spricht, erhält nicht bloß dadurch mehr Geschmeidigkeit und eine mannigfaltigere Bildung, sondern die Klarheit der Ideen selbst ge- winnt, je mehrere und verschiedenere Formen man davon lernt. Ich kann aber so wenig Zeit darauf wenden, nur Sonntag vor- mittag. Außerdem höre ich Astronomie bei Bode *) und lese manch- mal in Li’s Buche. Ja, darin und in dem Petrarka, den mir Li mitgegeben hat. Sonst kann ich nichts für mich tun, nicht einmal ein Buch lesen, die Geschäfte rauben mir eine schreckliche Zeit. Indes arbeite ich nicht ungern. Es ist doch immer ein gewisses Interesse, bald des Scharfsinns, bald des Wissens, freilich oft auch nur des Fertigseins dabei, und dann arbeit ich gern und schnell, weil meine liebsten Hoffnungen näher gerückt werden. Noch geht alles recht gut . . . Dienstag, 9. November 1790 Wolltest nach Berlin kommen, liebe Li. Armes Kind, Bill hätte Dich nicht fortgelassen. Habe es mir aber schon manchmal ——— *) Direktor der Berliner Sternwarte. 275