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[ Band 1 Brief 162: Humboldt an Caroline Tegel, Montag, 6. Juni 1791 ]
das ihre. Bin neulich eine ganze Nacht aufgeblieben und habe sie alle ausgehen sehen und untergehen. Es war eine einzig schöne Nacht. Ich war oft so verloren im Andenken Deiner, ich konnte so lindernde Tränen weinen. Ach, Li, ich werde Dich ja wieder- sehen, bald wiedersehen, sind nun kaum vierzehn Tage mehr. Auch Du fassest jetzt die Gewißheit, hast es mir neulich geschrieben. O! laß sie nicht entweichen, diese holde Gewißheit, hege sie, pflege sie, daß sie die Sehnsucht versüße, die Dich durchglüht, bis Bills innig liebende Küsse sie stillen. Bin wieder so verliebt, Li. Stundenlang sitz ich und denke jedem Tage nach, da ich Dich sah. Nie, nie wird doch wieder ein Mensch von einem Menschen empfangen, was Du mir gabst, Du mein holdes, mein süßes Wesen, nie wird aber auch eines Menschen Wesen so in den andern übergehen, als das Deine in mich. Alle die lieben Gegenden sind ewig vor meinen Augen, das Küsterholz und die Laube, der Pappelgang, die Wiesen nach der Kupferhütte zu, den lustigen Baum, den wir so liebten, die schwarzen Schlackenberge, alles, alles. Gibt ja keinen Ort auf Erden mehr, wo ich solche Empfindungen schöpfte. Höre, Li, hab’s oft ge- dacht, wo wir auch künftig einmal sein möchten, müssen oft zurückkehren zu den lieben Stellen, könnte mich nie auf lange von ihnen trennen. Sie nun jetzt wiederzusehen, jetzt in der ersten Blüte unsres Genusses. O! Li, Li, das arme Herz vermag kaum die Wonne zu fassen. . . . Ich weiß gar kein Reisehindernis, müßte noch ganz unvermutet kommen. Ach! Li muß sich nur ja, ja nicht ängstigen. Kann mir auf der Welt nichts begegnen, und Sonntag, ersten Sonntag nach Pfingsten, denk ich gewiß, bin ich bei Li. Kriegst nur noch den Sonnabendsbrief ohne mich. Wenn Du den von Dienstag be- kommst, drück ich sie selbst auf Deine Lippen, die brennenden Küsse. Ach! nimm sie heut noch von dein glücklichen Blatt. 480