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[ Band 1 Brief 105: Caroline an Humboldt [Erfurt], Donnerstag abend, 9. Dezember 1790 ]
weil ich Dich dann weniger still und glücklich denken kann, als allein. Ich fühle ja die Wahrheit so tief an mir, und welche Empfindung gestaltete sich in meiner Seele anders als in der meines Geliebten? — Ich sehe Dalberg sehr oft, aber selten allein. Es ergreift mich oft eine unbeschreibliche Wehmut an seiner Seite, und es kostet mir Mühe, ihm meine Tränen zu verbergen. Denn um meinen Wilhelm darf mich niemand weinen sehen, als Lili *). Ach, an ihrem Herzen vermag ich sie nicht zurückzuhalten, sie faßt so einen jeden Laut meiner Seele auf. — Dalberg behandelt mich mit einer rührenden Feinheit. Es ist ein großer, anbetungswürdiger Mann. In seiner Nähe zu leben, würde uns ein unendliches Glück geben. Mit der Gesandtschaft in Mainz könnte es sich wohl machen, indessen leugne ich Dir nicht, daß eine freie, durch keine fremde Rücksichten gebundene Existenz noch weit schöner wäre. Für mein Gefühl liegt auch in dem Ge- danken etwas Unangenehmes, der Spion zu sein, wo man der Freund sein könnte. Das ist doch eigentlich die Rolle, die Gesandten spielen, vielleicht an einem Hof wie Mainz weniger, aber doch immer. Ach, wenn ich so mit Dalberg zusammen bin, wenn ich ihn höre, fühle, wie er mit innerer Kraft seinen Gegenstand umfaßt, und, umweht von seinem Geiste, in einer schöneren Ansicht der Dinge schwebe, denk ich so oft, wie er Dich lieben würde, wie Du ihn — wie Eure Geister sich begegnen würden und im Gefühl Eurer Nähe in noch schöneren Gestalten ausströmen. Es muß Dir werden, warum sollte es nicht möglich zu machen sein? Mit Schiller war Dalberg kürzlich nicht ganz zufrieden, daß er ihn um Rat frug, wo er sich schon entschieden fühlte. Wie Du hält Dalberg wenig vom Ratgeben und dem Fragen darum, Menschen von innerem Gehalt und eignem Denken bestimmen sich doch meist allein. Warum nun der Wunsch, seine Meinung von andern autorisiert sehen zu ——— *) Vgl. S. 312. 318