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[   Band 1 Brief 105:    Caroline an Humboldt     [Erfurt], Donnerstag abend, 9. Dezember 1790   ]


wollen? Mir deucht, es liegt darin eine verborgene Eitelkeit. Doch
wieder zu Schiller. Er frug Dalberg um Rat, ob er als Schrift-
steller seine historische Laufbahn fortsetzen oder sich seinem Dichter-
talent ganz widmen sollte. Wenn man Schillern kennt und seine
Schriften aufmerksam gelesen hat, muß man, glaube ich immer, für
das letzte entscheiden. Das tat denn auch Dalberg. Nun schreibt
ihm Schiller, auch er habe sich so empfunden. »Warum«, sagte
Dalberg, »frägt er mich, warum will er sich stützen, der allein stehen
kann und soll?« Übrigens war Schillers Brief mit einer großen
Wahrheit über sich selbst geschrieben. Er gesteht, wie es ihm durch-
aus an Menschenkenntnis, an ruhigem Beobachtungs- und Forschungs-
geist fehlt, alles Eigenschaften, die dem Geschichtschreiber notwendig
sind, seine Aufmerksamkeit habe sich meist auf sich selbst beschränkt,
und nur aus diesen Anschauungen seiner inneren Empfindungen
abstrahiere er sich die andern Wesen und glaube, sagte er, den
Schlüssel oder wenigstens den Talisman gefunden zu haben, der
sie rühre, weil sich die Menschen in ihren Urgestalten immer ähnlich
seien. Darüber ließe sich nun manches sagen. Endlich gesteht er,
daß alle die Hauptcharaktere, die er bis jetzt gezeichnet, nur sein
in verschiedenen Lagen angeschautes Ich wären. Es war mir sehr
interessant, den Brief zu lesen, und wird es mir noch mehr sein,
Schiller und Dalberg darüber sprechen zu hören. Das wird nun
bald geschehen. Er wird den 31. mit Lotten herkommen und einige
Tage hier bleiben. Lili und den Ursus erwarten wir den 20. Das
liebe Weib lebt still in ihren Träumen, zählt die Tage bis zu
ihrem Herkommen — ach, ihre Seele ist so innig auf Dalberg ge-
richtet. Ich erwarte viel von ihrem Zusammensein hier, in ihm ist
eine so tiefe, sich selbst kaum gestandene Sehnsucht — vor einiger
Zeit sagte er mir einmal, nachdem er von der Gräfin Stadion
gesprochen hatte, in die er sehr verliebt gewesen war: »au fond ce
n’est pourtant pas cette espèce de femme qui mi sera jamais

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