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[ Band 1 Brief 105: Caroline an Humboldt [Erfurt], Donnerstag abend, 9. Dezember 1790 ]
glücklichsten erst dann sein, wenn sie die innere und äußere Har- monie Deines Lebens vernimmt, wenn nichts Dein Dasein stört und Dein Geist in ungebundener Freiheit sich allein und denen lebt, die Dein Herz liebend umfaßt. Sieh, ich spreche meine Seele vor Dir aus in ihren geheimsten Regungen, ach, verzeih mir, daß ich es nicht früher tat, daß ich Dir über diese Dienstverhältnisse nicht schon vergangenen Winter sprach. Wußte nicht, daß Du mich so liebtest, so einzig, so — nein, man hat keinen Namen für eine Liebe wie die Deine — kannte Dich auch nicht, wie ich Dich nun kenne. Von Dir mußte sie mir erst kommen, die Kraft, Dein Wesen zu fassen, Deine Schönheit, Deine Größe mußte mich beseelen, mich über mich selbst erheben, um Dich in allen Gestalten zu emp- finden — o, mein Gemahl, und ich sollte nicht danken? — Was wäre ich denn ohne Dich — freue Dich Deiner Li. Sie ist ja Dein Werk. Aus dem Anschaun Deines Wesens bildete sich in mir eine bessere Seele. In ihr entstand der stolze Gedanke, Dein einziges Glück zu machen. Alle meine Empfindungen, alle meine Kräfte streben nur dahin. Je mehr diese wachsen, je reiner jene werden, je wahrer und vollkommener strahlt sie mir zu, die heilige Gestalt Deines Wesens, je inniger wird das glühende Verlangen, mich in seine Schönheit immer unaussprechlicher zu versenken, ihm die Fülle des Lebens zurückzugeben, die ich empfing, und des Da- seins Möglichkeit von ihm zu erflehen. So streut die süße Blume ihre duftenden Gerüche in den Hauch der milden Lüfte, die sie umwehen, so sinkt sie in den Schoß der Erde zurück, die sie mütter- lich pflegte und trug und wieder hervorgehn läßt in ewig wechselnden Gestalten — so gebe ich Dir mein neugeschaffenes Wesen und empfang es von Dir zurück. — Sonntag abend, den 12. Dezember Ich konnte gestern abend nicht fortfahren. Mir ist heut, als seist Du in Gesellschaft. Die Idee bewegt mich immer schmerzlich, 317