< zurück      Inhalt      vor >                                          
[   Band 1 Brief 102:    Humboldt an Caroline    [Berlin], Sonnabend mittag, 4. Dezember 1790   ]


ewig an Kraft, Dich nur in der Schönheit, der Du bist, zu
fassen, aber mehr und mehr wirst Du mein Wesen erhöhen, und
mit jeder höheren Stufe errungener Kraft werd ich Dich inniger
anbeten und glühender lieben. Ach, nicht gleich vermocht ich’s selbst
zu fühlen, wie in Dir all mein ganzes Sein sich verlor, wie ich in
Dir alles wiederfand, was je achtungswert meinem Geist, lieb
meinem Herzen, schön meinem genießenden Sinn erschienen war.
Jetzt faß ich’s mit voller Seele auf.


103. Humboldt an Caroline    [Berlin], 8. Dezember 1790, Mittwoch

Hatte heut eine frohe Stunde. War mit Bode *) auf der
Sternwarte, der Himmel war wunderbar schön, unser
Lieblingsgestirn glänzte so hell, und fern am Horizont ging
der Mond unter. Wenn ich nur Zeit erübrigen kann, werd ich
öfter hingehen. Dieser Anblick der Nacht, der Gestirne, ach! es
ist das einzige, wofür mein Wesen jetzt gemacht ist. Habe heut
viele Sterne kennen gelernt; wenn ich sie nicht vergesse, soll Li sie
alle lernen. Denn Li will ja eine kluge, vernünftige Frau werden.
Lache immer so, wenn Du Dich unwissend und einfältig nennst.
Meine dann, Deinen Blick zu sehen, und der ist in solchen Augen-
blicken so eigen. Sage nur Papa, Bill hätte Li nicht ausgelacht,
hätte erst die berühmten Fehler gar nicht finden können, hätte sie
dann wohl gefunden, aber nicht gelacht, denn er hätte dabei ge-
dacht, wie Li die Fehler machte und nicht ins Buch sah, da dachte
sie an Bill! — Aber Li, »Die heilsame Erinnerung an den Kranken«
und die »Vorschläge zur christlichen Erziehung« sind aus Versehen
dazu gekommen. Es hat mich so gefreut, weil es so hübsch ist,
daß Du das alles so abgeschrieben hast und nicht ein Wort darüber

———
*) Vgl. S. 275.

                                                                       307