< zurück Inhalt vor >
[ Band 1 Brief 102: Humboldt an Caroline [Berlin], Sonnabend mittag, 4. Dezember 1790 ]
Montag abend Ich kehre wieder zu Dir in der stillen Abendstunde, meine Li. Ich bin heut den ganzen Nachmittag nicht aus meiner Stube ge- kommen, meine Mutter war nicht zu Hause, ich hatte absagen lassen, und so konnt ich in meiner Stube essen, da war mir wohler, selbst bei der Arbeit, und wenn ich das Lärmen der Wagen auf der Straße hörte, so war’s mir, als geschähe das in einer andern, von der meinen gesonderten Welt. Zusammen mit Dir, so wird’s mir erst eine andere Welt scheinen und sein. Denn wie gar nicht ich an den Dingen außer mir hänge, so fühl ich’s doch, daß das Leben mit Dir mich zu einer noch größeren Einsamkeit, einem noch festeren Anschließen an unsere Existenz allein auf eine so entzückende Art führen wird. Wenn ich mich sonst bedenke, da schweifte mein Geist so umher, dehnt ich meinen Kreis so gern aus, hatte gern vielfachen Genuß und vielfaches Wirken. Daher war ich mit so vielen Menschen verbunden, mit mehreren eng. Nach und nach hab ich mich enger an mein einziges Glück angeschlossen, und jetzt, jetzt fühlt sich mein Herz, mein Geist, mein ganzes Wesen in jeg- licher Gestalt nur in Dir. Vielleicht empfindet das niemand als ich. Wen ich sonst durch Liebe einzig gefüllt sah, in dem fand ich auch immer diese oder jene Neigung schlafen, oder ich fand seine Achtung für diese oder jene Äußerung seiner Kraft, Seite seines Wesens anders als sonst und ungleich verteilt. In mir ist’s nicht so. Jede Kraft, wovon nur ein Element in mir lag, ist zu einer bewundernswürdigen Höhe gestiegen, jedes intellektuelle, moralische, ästhetische Bedürfnis ist gleich lebhaft in mir geblieben, und für alle, alle gibst Du und Deine Liebe mir Befriedigung und Nahrung. O, Du bist ja einzig unter den Weibern, Du namenlos entzücken- des Wesen. Wo will, wo kann die Liebe noch finden, was in Dir sie beseligt! Ewig wird es mir an Reichtum, an Fülle fehlen, Dir, jeder schönen Gestalt, die aus Dir hervorstrebt, zu begegnen, 306