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[ Band 1 Brief 75: Caroline an Humboldt Auleben, Donnerstag, 23. September 1790 ]
75. Caroline an Humboldt Auleben, Donnerstag, 23. September 1790 Ich bin gestern abend hier angekommen, mein Bill, und leidlicher, als ich’s erwartete. Nur einige Tage Ruhe in Erfurt, und es geht gewiß wieder ganz gut mit meiner Brust. Ich spucke kein Blut, sei also ja nicht besorgt, liebster Wilhelm. Die Trennung von Burgörner war schmerzlich und bang. Ach, es war für mich so das Zerreißen des letzten Fadens, der mich noch an die Vergangenheit knüpfte. Das fühlt ich so lebhaft, als ich aus dem Hause ging. Eine eigene Stimmung bracht es in mir hervor, als ich die Aussicht ins Tal und auf die kahlen, roten Berge allmählich verlor. Ich war da einige Momente sehr allein. — . . . Abends 10 Uhr Noch eine gute Nacht, Bill. O ich habe eine Entdeckung ge- macht — eine prächtige Entdeckung, die mich für einen Moment um 30 Meilen näher zu Dir rückte. In der Stube, wo ich schreibe, hängen alte Landkarten. Wie ich vorhin hereinkomme, sehe ich sie so flüchtig an. Ich wußte eigentlich selbst nicht, was ich suchte, bis mir Berlin in die Augen fiel — da wußt ich’s, und denk nur, gleich darauf Tegel. Nein, Du hast kaum einen Begriff von meiner ausgelassenen Freude. Ich lachte und weinte und sprang in der Stube herum und war auf einmal bei Dir, ging mit Dir an den Ufern des Sees und in den Gärten — und nun, ach, nun bin ich wieder allein. Ich geh nun zu Bette. Es ist so eine häßliche, dunkle Kammer, wo ich liege, und wenn ich die Nacht über Madames *) Schnarchen aufwache und der Mond durch das kleine Dachfenster hereinscheint, dann fürcht ich mich und sehe eine Menge gräßlicher Gestalten. Ich versichere Dir, außer der Landkarte ist hier alles abscheulich, und an nichts kann man seinen unverdorbenen Spaß haben. Gute Nacht, mein Bill. ——— *) Vgl. S. 80. 226