< zurück Inhalt vor >
[ Band 1 Brief 75: Caroline an Humboldt Auleben, Donnerstag, 23. September 1790 ]
Freitag abend . . . Papa ist übrigens prächtig. Außer der einen Ermahnung hat er Dich auch nicht wieder mit Namen genannt und gegen die Schmidtin geäußert, daß er das mit Fleiß täte, um meine Ge- danken ein wenig von Dir abzuziehen. Ist das nicht ein charakte- ristischer Zug, und hättest Du Dir je ein ähnliches Mittel bei einem liebekranken Herzen gedacht? Ja siehst Du, Bill, das kommt noch alles von der Subtilität her, mit der Papa meine Mutter behandelt hat. Es freut mich, daß Deine Mutter mit allen übrigen Einrich- tungen zufrieden ist. Ich fürchtete einen Augenblick, es würde ihr anstößig sein, daß mir Papa nicht mehr gäbe. Nun ist’s auch gut. 10 Uhr Es ist eine wunderschöne Nacht — wer sie mit Dir genösse! Lange stand ich hier am Fenster, wo man die Aussicht auf einen mit Bäumen und dazwischen liegenden Häusern bedeckten Berg hat, auf dessen Spitze die Kirche liegt. Dahinter ging der Mond auf und beleuchtet so wunderbar alle Gegenstände, durch trübe Wolken blickt hie und da einzeln ein Stern. So leuchtet zuweilen ein Strahl der Freude durch die Dämmerung, die auf meinem Leben ruht. Still und dankbar faß ich ihn auf in meine Seele, »sei ruhig,« sag ich mir oft, »die Wolken werden sich zerstreuen und Dein Blick sich in dem blauen Äther verlieren.« Ach, daß Du Dir, geliebter Mann, so viel leben könntest wie ich! Nach unserm Zusammensein wie fremd, wie Dein inneres Leben zerstörend, muß jede andere Existenz Dir sein — o laß Erinnerung und Hoffnung Dich halten und weine, wenn Du allein bist, stille, erleichternde Tränen. Sie entweihen kein Gefühl, entweihen nicht die starke Seele des Mannes. Ach, nicht menschlich sein zu wollen ist Ent- weihung unsres Wesens, verstümmelt die Kraft, durch die wir uns in den besten Momenten unsres Daseins zum Übermenschlichen er- heben — es können nur Momente sein — ich habe mir in meinen 227