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Humboldt an Adelheid                         Berlin, 17. April 1829

Ich danke Dir herzlich, beste Adelheid, für Deine
freundlichen Zeilen vom 13., durch die wir wissen,
daß Ihr, liebste Kinder, glücklich bis Glogau ge-
kommen seid.
Ich hätte Dir auf jeden Fall heute geschrieben,
und es ist mir um so erfreulicher, einen so lieben und herzlichen
Brief beantworten zu können. Du hast sehr recht, gutes Kind,
wenn Du sagst, daß im Anblick der freien Natur und ihrem, von
allen menschlichen Ereignissen unabhängigen regelmäßigen Wechsel
etwas höchst, wenngleich wehmütig Beruhigendes liegt. Der
einzig wahre Trost bei so unglücklichem, nie zu ersetzendem Verluste
ist überhaupt nur der, im Geiste die enge Schranke der irdischen
Wirklichkeit zu verlassen und an die Unendlichkeit anzuknüpfen,
und dazu eröffnen sich zwei Wege. Die Seele der Entschlafenen
ist der Banden ledig, die sie hier hemmen, und so wie man die
Zuversicht in sich trägt, daß der Tod nicht eine Vermehrung des
menschlichen Daseins ist, gibt er das sicherste Zeugnis von einem
schöneren und höheren Jenseits. Was aber die irdische Hülle be-
trifft, so gehört sie der Natur an, und wie man die Natur im
Großen betrachtet, erscheint der Tod wieder als eine wohltätige
und heilende Macht. Es kann im Vergänglichen nichts Bleibendes
sein, und der Staub des einzelnen mischt sich mit dem Staube
des Alls. Aber auch die Natur hat in der Saat, in den jähr-
lichen Vorgängen die schönen Sinnbilder des Sprießens neuen
Lebens aus vorhergehendem Untergang, und alles predigt dem
Menschen, daß er in keinem Zustand unveränderlich veralten soll,
daß aber aus jeder scheinbaren Vernichtung immer neues Leben
hervorkeimt.

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