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[   Band 7 Brief 160:    Humboldt an Caroline    Weimar, 29. Dezember 1826   ]


so regelmäßig ein Bad besuchte, jetzt ohne allen Schaden nun schon
zwei- oder gar dreimal die Kur unterlassen hat. Er ist kräftig,
heiter und sehr produktiv, auch an allem mehr oder weniger Anteil
nehmend. Er hatte eine Geschwulst der Ohrdrüse (parotis), die
ausging und mehrere Monate lang in Eiterung geblieben ist.
Man glaubt, daß ihm dies heilsam geworden ist, und merkwürdig
ist es, daß, da man alles tat, um ein Zuheilen absichtlich zu ver-
hindern, das Geschwür sich von selbst geschlossen und die Eiterung
nach und nach aufgehört, und daß er auch davon keinen Nachteil
gespürt hat. Alle seine Sinne sind noch von gewohnter Schärfe.
Zu seiner Erhaltung trägt wohl ein junger verständiger Arzt bei,
von dem ich Dir schon geschrieben zu haben glaube. Er heißt
Vogel, ist zuletzt in Liegnitz gewesen und von da hierher berufen
worden. Rust muß ihn kennen, er soll ihn sehr geliebt haben.
Er wirkt weniger durch Arzneien bei Goethe und vorzüglich auch
beim Großherzog, als dadurch, daß er sich bei beiden Vertrauen
und ärztliche Autorität verschafft hat, und nun beide eine bessere
Diät führen läßt, sowohl im Essen und Trinken, als in täglicher
aber mäßiger Bewegung. Der Großherzog hatte sich besonders
an vieles Medizinieren gewöhnt.
Goethe ißt indes doch ziemlich stark. Im Lauf des Vormittags
trinkt er ein großes Wasserglas Wein und ißt Brot dazu, und am
Weihnachtsfeiertag sah ich ihn des Morgens eine solche Portion
Napfkuchen zu dem Wein verzehren, daß es mich wirklich wunderte.
Ich bleibe dabei, nichts außer der Schokolade den Morgen zu nehmen.
Seit dem Mittwoch sind wir wieder in schwarzen Unter-
kleidern, was immer das Wahrzeichen der wiederkehrenden Ruhe
hier bei Hofe ist. Ich esse alle Mittag nach gewohnter Sitte an
der großherzoglichen Tafel, und seit der Abreise des Prinzen alle
Abend mit dem Großherzog bei Frau von Heigendorf. Er bringt
mich dann in seinem Wagen zu Hause. Die beiden Söhne der

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