< zurück      Inhalt      vor >                                          
[   Band 7 Brief 135:    Humboldt an Caroline    Herrnstadt, 1. Mai 1826   ]


sie den Vormittag beim besten Licht schwächer fühle (denn das ist
es nur, weh tun sie nie) als den Abend und die Nacht. Eine
Brille möchte mir doch jetzt helfen. Denn ich sehe auch mit dem
rechten ganz gut, wenn ich es fast auf den Gegenstand lege. Ach!
süßes Kind, wenn ich Dich nicht mehr hätte, würde mich die
Blindheit nicht so sehr betrüben. Dann geht für mich alles unter,
und dann hüllt man sich gern in Schatten. Blindheit ist gewiß
ein großes Unglück und eine durch nichts zu ersetzende Entbehrung.
Allein die Finsternis ist auch Ruhe, und der Geist brütet über sich,
wenn die Außenwelt ihm entrückt ist. —
Du hast also den Griechen schon 50 Taler gegeben? Gerade
diese Summe dachte ich mir, daß wir geben müßten. Da aber
Bülow auch gegeben hat, erklärt Preußen gewiß bald den Türken
den Krieg!
Ich reise den 8. ab und bin also den 10. bei Dir, worauf
ich mich unendlich freue.

 ———

Das für Frau von Humboldt anfangs in Aussicht genommene Bad
Muskau wurde aufgegeben, weil in immer erneuten Anfällen des steigenden
gichtischen Leidens die Kräfte bedrohlich sanken. »Ach, Adelchen,« schreibt
sie Mitte Mai 1826, »Du wirst mich wohl sehr verändert finden, körperlich
und geistig fühl ich mich todmatt — —, nur mein Herz, meine innige Liebe
zu Euch allen, die wird mir bleiben und mit mir in ein anderes Dasein
übergehen.«
Und auch von Tegel aus, wohin die Familie Anfang Juni mit Bülows
übersiedelt, meint die Mutter, ihr Leiden sei »zum Sterben noch nicht ge-
nug, aber zum Leben zu viel«. Nun setzte der Arzt seine Hoffnung auf die
zugleich auflösenden und stärkenden Bäder Gasteins, und dahin reiste die
Leidende in Begleitung beider Töchter Caroline und Adelheid am 22. Juli.
Humboldt mußte um seines Sohnes Hermann willen auf das Mitgehen
verzichten, und so haben wir wieder Briefe aus dieser Periode.

                                                                       264