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[   Band 7 Brief 121:    Humboldt an Caroline    Burgörner, 20. November 1824   ]


vorzüglich wegen der Unruhe, die sie Deinem Vater machen würde.
Der gute Papa antwortet dann, wie Du der Auflösung nahe ge-
wesen wärst. Es kommt einem wie ein Traum vor. Es war,
wie Du, armes, liebes Kind, in Halle so krank warst. Wie ich
das heute las, ist mir plötzlich mit einer wunderbaren Klarheit
Dein Bild vor die Seele getreten, wie ich zum erstenmal im Hause
hier war und Du hereintratest. Es ist recht lange jetzt her. Wir
gingen damals froh ins Leben ein und sind jetzt froh weit gegen
das Ende vorgerückt. Das wird recht wenigen in der Welt.

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Ich kann Dir nicht sagen, wie mich die Linden am Wehr,
selbst blattlos, wie sie jetzt stehen, und der Himmel, wenn er auch
wolkig ist, anziehen. Es gibt einem nicht gerade etwas, man emp-
fängt keine neuen Gedanken. Aber es ist, als wenn eine Saite in
der Seele angeklungen wird, die alles andere spornt und bewegt.
Ich habe darin eine eigene beschauende Natur, die mich auch wirklich
gehindert hat, im Leben mehr zu tun und zu lernen. Dieselben
Bilder, dieselben Eindrücke lasse ich gern immer wieder an mir
vorübergehen, und sie scheinen mir das Leben reicher zu füllen als
eine bunte Mannigfaltigkeit neuer. Darum kann ich auch mit so wenig
Büchern leben und lese immer am liebsten das Alte wieder. Ein
Vers im Homer ist mir so neu wie in meiner frühen Jugend, wo
ich ihn zuerst in Tegel griechisch las, und jetzt viele im Sanskrit
so alt wie jene. Aus dem Genußreichen des Daseins gehe ich
immer heraus, wenn ich mich mehr ins Leben mische.
Wie ich es nun mit meiner Reise mache, weiß ich heute noch
nicht gewiß. Soviel ist gewiß, später als den 15. komme ich nicht
nach Berlin; traue ich mir die Reise nach Weimar doch nicht zu,
so komme ich früher. Gern gäbe ich die Reise nicht auf, es ist so
schwächlich, wenn ein Mann etwas wegen seiner Gesundheit tun muß. . . .

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