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[   Band 7 Brief 120:    Humboldt an Caroline    Burgörner, 15. November 1824   ]


die Dieffenbach *) viel erzählt hatte. Ich hatte schon den Tag
vorher mit ihm zugebracht, wußte auch seinen Namen, erinnerte
mich aber nicht an die Umstände, bis er zufällig Münster nannte.
Man ist manchmal sehr dumm.


121. Humboldt an Caroline             Burgörner, 20. November 1824

Ich schrieb Dir gestern vom Hüttenmeister Böttcher. Er
ist Montag krank geworden und hat gleich gesagt, daß
er nicht wieder aufstehen würde. In der Nacht seines
Todes hat er die Stunde, Mitternacht, richtig bestimmt. Er hat
von allen Menschen Abschied genommen und auch den Hütten-
leuten sagen lassen, daß er in seiner Todesstunde an sie gedacht.
Der Mut und die Treue so ganz gewöhnlicher Naturen in solchen
Augenblicken ist mir immer rührend. Es beweist, daß die mensch-
liche Natur da reiner erscheint, aber auch, daß das Beste und
Edelste im Menschen recht wenig von Bildung, Erziehung, und
wie man es nennt, abhängt. Man kann nie genug Achtung für
das wahrhaft Menschliche in den Personen ganz ungebildeter
Stände, und nie genug Demut haben, wenn man sich manchmal
über sie setzt. Das einzelne, gar nicht bemerkbare Zusammenwirken
dieses wahren Gehalts im Volke ist die Grundlage des Höchsten
in jeder Nationalentwicklung. Alle Bildung würde wie ein Kranz
verwelken, den man um einen toten Stamm windet, wenn nicht
dieser Stamm ihn durch seine unsichtbaren Kräfte belebte.
In alten Feuerkassenakten habe ich heute einen Brief von dem
verstorbenen Ehrenberg gefunden (von 1789), wo er die Krankheit
der Fräulein Tochter, Gnaden, bedauert, aber sehr naiv hinzusetzt,

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*) Johanne Motherby, geborene Thielheim, geb. 1783, † 1842, als
Gattin des Arztes Dieffenbach.

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