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[   Band 7 Brief 120:    Humboldt an Caroline    Burgörner, 15. November 1824   ]


Vorbereitung zum Tode ist, daß, wie sehr schön im Bhagavad-
Gitâ steht, einem das zum Licht wird, was den übrigen Menschen
Nacht ist. Man sieht die Sterne, den Himmel, die blaue Luft
anders an, und wenn es irdisch und menschlich ist, sich an der
Form zu freuen, so entsteht nun ein Anstaunen des Formlosen,
ja ein gewisses Sehnen danach, nach der Auflösung in höhere
schrankenlosere Kräfte, ein Gefallen an Einsamkeit, da es ja nichts
scheinbar Einsameres gibt als die wolkenlose Höhe.
Die hübsche und lange hier mit mir vertraute Natur hat mich
wieder sehr angezogen. Ich bin gleich am Tage nach meiner An-
kunft auf den Kirchberg gegangen und habe lange oben verweilt.
Die falbe Sonne und die entlaubten Bäume haben doch auch
einen eigenen Reiz. Man entbehrte viel lieber den Winter, aber
wenn er einmal da ist, kann man doch auch nicht seine Reize ver-
kennen, die er unleugbar hat.
Es wird mir hier immer alles neu, wie wir zuerst hier zusammen
wohnten. Die tiefe Liebe bleibt doch durch das ganze Leben der
höchste Genuß. 
Mit Pflaumen bin ich sehr zufrieden. Seine Konversation
ist oft himmlisch. So erzählte er mir buchstäblich von Harden-
berg: »Ich habe den Herrn Kammerherrn den Morgen gesehen,
als sein Erbprinz die Nacht jung geworden war.«
Daß ich einen Tag länger in Oschersleben zubringen mußte,
war doch nicht ganz umsonst. Motz blieb noch bis zum
Mittag . . .
Beim Essen den letzten Tag habe ich einen interessanten
Menschen kennen lernen, den Kriminalrat Immermann *), der lange
in Münster und im Lützowschen Hause viel war, und von dem mir

———
*) Karl Leberecht Immermann, geb. 1796, † 1840, Dichter und Dra-
maturg, um dessentwillen sich die Gattin des Freischarenführers v. Lützow,
Gräfin Elisa v. Ahlefeldt, von diesem scheiden ließ.

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