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[ Band 7 Brief 99: Humboldt an Caroline Weimar, 19. November 1823 ]
mit den Marienbader Bildern beschäftigt ist, allein mehr, wie ich ihn kenne, mit der Stimmung, die dadurch in ihm aufge- gangen ist, und mit der Poesie, mit der er sie umsponnen hat, als mit dem Gegenstand selbst. Was man also vom Heiraten und selbst von Verliebtheit sagt, ist teils ganz falsch, teils auf die rechte Weise zu verstehen. Nur glaube ich doch, daß die Einförmigkeit, vielleicht sogar die geringe Erfreulichkeit des Familienkreises ihm, nach der lebendigeren Regung in Böhmen, nicht wohltut, und daß ihm dies Gefühl mehr lastet, weil seine Krankheit ihm den ge- wohnten Trost beständiger Beschäftigung raubt, wozu denn zufällig auch der Mißmut kommt, mir nicht das alles selbst lesen und wahrhaft darüber sprechen zu können. Von meinem übrigen Leben ist wenig zu sagen. Alle Mittag bei Hofe, oft auch abends, so ist morgen Polonäsenball, und ich muß wirklich weiße Handschuhe kaufen, des Morgens bei Carolinen und Goethe, des Nachmittags meist wieder bei Goethe (heute bei Lolo) und den Abend zum Souper bei Frau von Heigendorf. Gestern war Riemer mit dort, heute bloß der Hofmarschall Spiegel. Heute war auch Figaros Hochzeit, und da ich das Stück weder als Ko- mödie noch Oper je gelesen noch gesehen hatte, so habe ich nun doch gelernt, wer eigentlich Graf Almaviva ist, wovon ich bisher gar keinen Begriff hatte. Es ist unendlich gut, nicht so alles von Anfang herein zu kennen. Ich bin nun im 56. Jahr weder über die Kleinstädter und Krähwinkel, noch über Figaro blasiert, sondern genieße beide wie ganz neue Sachen. Ich habe auch viel über Musik sprechen müssen, und habe mir sehr künstlich herausgeholfen. Die Fürstin von Rudolstadt hat mir geantwortet und scheint sehr vergnügt über mein Kommen. Der Fürst *) hat mir anbieten lassen, im Schloß zu wohnen. Ich lehne das aber ab. Caroline, Lolo und Goethe, der oft von Dir spricht, grüßen ——— *) Friedr. Günther Fürst v. Schwarzburg-Rudolstadt, geb. 1793, † 1867. 189