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[ Band 7 Brief 99: Humboldt an Caroline Weimar, 19. November 1823 ]
Dich herzlich. Verzeih das flüchtige Schreiben. Es bleibt so wenig Zeit. Ich will auch immer auf der dritten Seite endigen, wie Du an der leergelassenen Stelle siehst, aber es zieht mich immer bis zum Ende des Blattes fort. Es ist so unendlich süß, mit Dir zu reden. Lebe wohl! 100. Humboldt an Caroline Rudolstadt, 21. November 1823 Goethen fand ich gestern morgen sehr schwach. Er hatte die Nacht wieder nur im Lehnstuhl zugebracht, und die Augen fielen ihm alle fünf Minuten zu, wobei dann sein Kopf gleich auf seine Brust sank. Dann hob er ihn wieder und öffnete die Augen, und so ging es die ganzen Stunden, die ich da war. Dazwischen sprach er aber wieder mit Lebendigkeit. Er sagte mir auch einiges über seine Lage, wovon mündlich. Er braucht eine außerordentliche Erheiterung, glaube ich, in dieser Ein- förmigkeit seines Lebens. Eine solche würde, meiner Meinung nach, einen sehr glücklichen Einfluß haben. Ich habe ihm allerlei Vorschläge gemacht, allein es wird wohl beim alten demungachtet bleiben. Die Ärzte behaupten, daß es mit seiner Krankheit nichts zu sagen habe. Ich kann leider diese Meinung nicht teilen. Sein Leib ist offenbar geschwollen. Er nimmt fast lauter flüssige Nah- rung zu sich. Die schlaflosen Nächte und der Husten matten ihn außerordentlich ab. Man erwartet jetzt sehr gute Wirkung von Blutegeln, die man ihm in der Nierengegend gesetzt hat. Ich konnte ihn deshalb gestern nachmittag nicht mehr sehen und habe nicht von ihm Abschied genommen. Ich werde aber, wenn ich übermorgen von hier abreise, wieder über Weimar gehen, weil der Weg über Jena gar zu schlecht sein soll, und dann nur Goethen und Carolinen besuchen. 190