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[ Band 7 Brief 97: Humboldt an Caroline Weimar, 17. November 1823 ]
Ich habe die »Kleinstädter« gesehen und war so vertieft in das Stück, daß es mich ordentlich verdroß, wenn mich der Großherzog unterbrach. Wie wir bei der Jagemann waren, wurde ausgemacht, daß übermorgen, mir zu Ehren, eine Oper, »Figaro«, gegeben werden sollte. Ich lasse alles geschehen und rede gar nicht von meiner Abneigung gegen die Musik. Seitdem ich keinen Tee mehr trinke, ist alles aus. Ich stehe einmal am Rande des Abgrundes, und einen Schritt weiter, so schwimme ich im Bier. Ach, Gott! liebes Kind, Goethe hat auf nichts Appetit, nicht auf Bouillon, Fleisch, Gemüse, er lebt von Bier und Semmel, trinkt große Gläser am Morgen aus und deliberiert mit dem Bedienten, ob er dunkel- oder hellbraunes Köstritzer oder Oberweimarisches Bier, oder wie die Greuel alle heißen, trinken soll. Doch geht er meist in eine andere Stube dazu, wenn ich da bin. Die Scheu geht doch in einer menschlichen Brust nicht ganz aus. Über seine Gesundheit war man heute und gestern bedenklicher als früher, ich glaube aber mit Unrecht. Mir schien er eher besser. Unmittelbare Gefahr ist bei diesem Übelbefinden nicht, nur die, daß dieser Husten Anzeige anfangender Brustwassersucht sei oder Ursach davon werde. Er sprach heute manchmal sehr schön, er zeigte mir auch ein Gedicht, das er im Frühjahr gemacht hat und das nun im neuesten Heft von Altertum und Kunst ge- druckt wird. Es ist indischen Inhalts, ein Gegenstück zur »Bajadere«, und heißt »Der Paria«. Parias sind die unterste Kaste der Indier. Es ist sehr schön, sehr künstlich und merkwürdig, weil er den Stoff 40 Jahre mit sich herumgetragen, ihn auf alle Weise zu behandeln versucht hat, und erst jetzt damit fertig geworden ist. Ob es aber so gefallen wird, wie die »Bajadere«, zweifle ich doch. Der Stoff wird vielen widrig sein, ich vermute auch Dir. Mündlich mehr davon. Es ist schrecklich, daß die Ursach von Goethes Krankheit höchst- 183