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[ Band 7 Brief 95: Humboldt an Caroline Weimar, 12. November 1823 ]
als der Lippi, den er für einen der besten erklärt, die er je gesehen hat, und das Fragment des Männerkopfes, das Du nicht liebst. Von beiden hört er nicht auf zu reden. Goethe ist ungemein be- gierig, das Fragment zu sehen, und ich wünschte ihm wohl die Freude zu machen. Sei doch so gut, teure Seele, und sprich mit Rauch, ob er Lust hat, es formen zu lassen, aber zugleich, ob es ohne allen Schaden des Stücks geschehen kann. Denn, da es so sehr selten ist und Westmacott *) in London es bloß mir zuliebe formen ließ, so möchte ich es allerdings nicht verderben. Einen Abguß der großen Juno nach unserm Kopf hat Goethe auch und ist er- staunt über die Schönheit des Abgusses. Den Minervakopf, der bei uns auf dem Ofen steht, hält Meyer für schöner als den der Velletranischen. Diese Meinung möchte ich nun nicht teilen, um so weniger, als ich den Kopf der letzteren hier wieder bei Goethen gesehn habe. Goethes Art, sich zu beschäftigen, ist mir, nachdem ich nun alle seine Hefte gelesen und ihn hier noch darüber höre, sehr klar. Ich fragte ihn nach verschiedenen Sachen, die ihn an sich inter- essieren müssen, Alexanders neuestem geognostischen Werk, seiner Reise usf. Auf alle Fragen gestand er, daß er das gar nicht ge- lesen habe und nicht lesen wolle, bis er in seinen eigenen Forschungen darankomme. Bei dieser Gelegenheit sagte er dann deutlich, daß er jetzt gar nicht mehr anders lese, als indem er gleich auch dar- über schreibe, und darum hüte er sich vor neuen Büchern, die ihn nur anregen und auf Untersuchungen führen würden, die außer seinem Weg lägen, und zu denen er jetzt nicht mehr Zeit und Kraft habe. Von mir hatte er die Sprachabhandlung jetzt wieder gelesen und war sehr bewandert darin. Merkwürdig aber ist mir gewesen, daß er mir auf die über die Geschichte **) nie weder schriftlich ——— *) Sir Richard Westmacott, geb. 1775, † 1856, Bildhauer. **) Vgl. S. 106. 173