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[ Band 7 Brief 86: Humboldt an Caroline Tegel, 22. August 1823 ]
man es zuschreibt, als von der Kraft und Neigung der Seele, sich aus seiner äußeren Lage seine innere Bestimmung zu machen, sie mit einer Art sehnsüchtiger Begierde zu ergreifen und an ihr fest zu hängen. Darum bleibe ich auch fest dabei, daß der Mensch des Glückes bis auf einen sehr hohen Grad gewiß ist, wenn er es nur sein will, und daß, wer diesen Sinn in sich zu schärfen ver- steht, wenig vom Unglück zu fürchten hat. Ich war heute in Hermanns Sprachstunden . . . Ich dächte, wir ließen ihn in diesem Winter den Religionsunterricht bei Schleiermacher anfangen. Was meinst Du dazu? Mir schiene es Zeit, und es ist wohl auch nicht übel, daß es geschieht, ehe er unter mehr Leute tritt, was doch nun nach und nach der Fall sein wird. Auch muß, denke ich, dieser Unterricht wenigstens zwei Jahre dauern. Man kann ihm eigentlich nicht zu viel Zeit widmen. Das Gemüt muß auf alle Weise zum Nachdenken und Empfinden über diese höchsten Gegenstände angeregt werden, damit es sich etwas selbst schafft, was eine eigentümliche Gestalt an sich trägt. Denn wenn diese Ideen nicht so in die Individualität übergehen, daß sie gleichsam aus ihr entsprungen scheinen, so wirken sie auch nicht stark und tief, und Schleiermachers Unterricht, bin ich über- zeugt, ist gerade dazu der passende. Er sucht gewiß mehr, nur lebendig zu machen, was schon selbst im Lehrling ruht, als gerade beizubringen und einlernen zu lassen. Morgen reitet Hermann nach Berlin, um französische Stunden zu nehmen. Ich lasse ihn allein reiten. Er hat es schon öfter getan und ist auf seinem Pferd sehr gut zu Hause. Schlafe nun wohl, meine geliebte Seele! Den 23. Wir haben keine Briefe von Dir gehabt, liebe Li. Ich hoffe aber gewiß, daß Dir darum doch nichts zugestoßen ist, sondern nur eine Unordnung der Post an dem Ausbleiben der Briefe 155