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[   Band 7 Brief 86:    Humboldt an Caroline    Tegel, 22. August 1823   ]


und in dem Gehölz dahinter und habe sehr, sehr viel mit großer Sehn-
sucht an Dich gedacht. Gabrielchen und ich waren wieder ganz
allein, und wir freuen uns recht, daß die Leute so gut begreifen,
daß wir keine hier haben wollen. Ich nötige die Leute immer,
wenn ich sie sehe oder ihnen schreibe, aber ich muß wohl solche
Mienen dabei machen, oder solche Phrasen brauchen, daß sie wie
die Treppe wirken, womit der Nürnberger Wiegel (so, glaube ich,
hieß er) seine Gäste immer wieder hinunterwand. Ich arbeite sehr
viel, und die Mittags- und Abendstunden, wo ich mit Gabrielen
bin, vergehen mir sehr schnell. Es spricht sich sehr hübsch mit ihr,
und ich bin es mit ihr am wenigsten gewohnt, so daß es mir neu
ist. Da sie die Kleinste war, bin ich wenig dazu gekommen. Sie
hat in ihrer stillen Manier eine sehr richtige Beurteilung und ein
überaus leises Gefühl, und eine wirklich himmlische Unbefangenheit
und Anspruchlosigkeit. Sie ist, das fühlt man an allem, nur einzig
vertieft in ihr Kind und ihre häusliche Lage, in der sie wirklich
sehr glücklich ist.
Wenn ich so bedenke, wie das Glück so auf verschiedenen
Wegen gefunden wird, wie zum Beispiel die beiden, so guten,
sich so liebenden, so gleich erzogenen Kinder, Adelheid und Ga-
briele, doch auch nicht in Gedanken mit ihren Männern tauschen
möchten, und keine sich bei dem der anderen recht glücklich fühlen
würde, so kommt mir das Glück wie das Gespinnst vor, in das
jeder sich auf seine Weise einspinnt. Es wird ihm zum Glück,
weil er es so gewollt hat, weil es sich so nach und nach in all
sein Tun und Denken eingeschlichen hat, daß der Verstrickte es
nun für seine Natur hält. Es ist darum auch nichts falscher, als
das Glück nach dem Maße der positiven Freuden zu messen, die
es gibt. Mit Freude und Genuß ist es so wenig gleichbedeutend,
daß es ja oft in Schmerz und Entbehrung gesucht und empfunden
wird, und es hängt lange nicht so von den Dingen ab, denen

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