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[ Band 7 Brief 71: Humboldt an Caroline Ottmachau, 18. Julius 1823 ]
Den 19. Ich erwartete heute einen Brief von Hedemann, und er ist auch richtig gekommen. Ich schicke Dir, teure Seele, den Brief selbst, es ist in vieler Rücksicht gut, daß Du ihn liesest. Zuerst und vorzüglich der großen Liebe wegen, die darin herrscht. Was er über seine Mutter und Adelheid sagt, hat etwas tief Rührendes. Er ist grundgut und die schroffen Seiten, die er bisweilen zu haben scheint, rühren alle von der wirklichen Lebendigkeit und Heftigkeit seiner Empfindungen her, die dann einseitig und absprechend wird. Im Grunde kommt das auch selten und dreht sich nur um einige Kardinalpunkte, in denen er nun einmal nicht anders wird. Jeder Mensch mag solche haben, nur daß er es selbst nicht so bemerkt. Am wichtigsten aber ist der Brief in Rücksicht auf Theodors An- gelegenheiten. Ich halte sie für viel ernstlicher als August meint, und habe es im Grunde seit diesem Winter, noch mehr aber seit der letzten Geschichte als gewiß angesehn, daß er den Abschied nehmen wird. . . . Diesmal auf Theodor zweckmäßig zu wirken, werde ich mir zum eigenen Geschäft machen und vielleicht darum einen Tag länger in Breslau bleiben. Wenn etwas auszurichten ist, so wird es mir wohl gelingen. Ich bin ganz ruhig, durchaus nicht leidenschaftlich und am wenigsten böse gegen ihn gestimmt. Ich sehe aber ganz das Ernsthafte, das in der jetzigen Verknüpfung von Umständen liegt, und bin also ernst und fest und nicht leichtsinnig darüber. Theodorn selbst bedaure ich mehr als ich ihn anklage. Ein großer Teil der Schuld, wie er nun geworden ist, liegt in den Ver- hältnissen und Zeiten, die er durchgegangen ist. Darum kann sich ein Mensch nie selbst freisprechen, da er eigentlich doch im Innern immer frei bleibt, man muß ihn auch nicht merken lassen, daß man es so ansieht, aber man muß in seiner eigenen inneren Beurteilung des anderen nicht unbillig sein. Ich werde also mit Ruhe die 129