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[ Band 7 Brief 65: Humboldt an Caroline Burgörner, 6. Mai 1822 ]
Donnerstag, am 9., wirst Du die Pferde unfehlbar in Köthen finden. Sie gehen schon übermorgen ab. Die Sonne geht nun nicht mehr dreimal für mich ohne Dich unter; das ist immer sehr schön. Da ist man bei der ungeduldigsten Erwartung über das Schwerste hinaus. Ewig Dein H. ——— Burgörner fand Li »bis zum Nichtwiedererkennen verschönt«. Wie im vergangenen Sommer wird auch wieder Gastfreundschaft geübt. Außer den vorjährigen Gästen kommen Motz mit Frau und Tochter, Kunth mit seinem Sohn, Stein aus Nassau mit zwei Töchtern »auf drei Tage, die wie Stunden verflogen sind«. Keine Badereise unterbrach dieses Mal den Sommer, obgleich beständige Gichtschmerzen und häufige Anfälle des alten, beängstigenden Brustkrampfs Frau von Humboldt quälten. Ende August wurde wieder nach Tegel übersiedelt, wo Gabriele mit ihrem Kindchen die Sommermonate zugebracht und Adelheid sich soeben ein- gefunden hatte, um während der Manöver dort zu bleiben. Glückliche, auch wieder »besuchreiche« Wochen schließen sich an, und Frau von Humboldt gibt sich ganz der Wonne großmütterlicher Gefühle hin, wenn sie auch nicht ohne tiefe Wehmut dabei die stetige Abnahme ihrer Kräfte emp- findet. Sie schreibt von dem Reiz, der in dem Anblick der zarten Geschöpfe liegt, »die einem so nah angehören und einer Zeit entgegenleben, die ihnen Aufgang und Morgenröte ist, während dieselbe Zeit sich zum Abend und Dämmerung der Großeltern neigt. Wie ein Rätsel liegt so ein Kind vor einem, und eben weil man ihm als Groß- mutter doch schon etwas ferner steht und die stille Ahndung wohl in einem aufsteigt, daß man es nicht in seiner Entwicklung be- gleiten wird, so sucht man seine Zukunft zu erraten, ach, und be- gleitet sie gewiß mit dem Segen und den Wünschen des Herzens, von denen ich hoffen will, daß sie auch dann fortwirken, wenn schon das Herz nicht mehr schlägt, aus dem sie sich ergossen.« 114