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[ Band 7 Brief 47: Humboldt an Caroline Leipzig, 29. Julius 1821 ]
47. Humboldt an Caroline Leipzig, 29. Julius 1821 Ich schreibe Dir heute wieder einige Zeilen, liebe Li, weil ich zweifle, daß ich Dir später noch werde einen Brief zubringen können. Ich bin heute früh um 4 Uhr, wie ich wollte, von Dresden weggefahren, allein erst vor einer halben Stunde, um 1/2 7 hier angekommen. Es hat den ganzen Tag ge- regnet. Dabei ist es kalt, wie im September. Die Chaussee selbst ist durch den Regen schon weniger gut, und die Leute verdrießlich. So kommt man langsam fort. Gestern, nachdem ich Dir geschrieben hatte, ging ich gleich auf die Galerie und blieb wohl über eine Stunde dort. Ich ging mehr zu den alten bekannten Bildern, als daß ich alles durchgesehen hätte. Die arme große Madonna wird wieder von einem Münchener kopiert und hat ihren Platz verlassen müssen. Der Mittag bei Weigel war sehr angenehm. Der Geh. Le- gationsrat Beigel, ein großer Orientalist, und Böttiger *) aßen da. Nach Tisch, es war ziemlich lang gewesen, ging ich zu Tieck. Die Henriette Finckenstein war erst allein in der Stube, und ich in größter Ungewißheit, ob es die Frau oder sie wäre. Ich habe sie, bis alles klar wurde, immer meine Gnädige genannt. War sie es, so deutete sie das mit Recht auf sich, und war es die Tieck, würde sie es sich auch schon angenommen haben. Tieck hat mir sehr interessant über seine jetzigen literarischen Unternehmungen ge- sprochen, vorzüglich über das Buch über Shakespeare. Wenn es nur je zustande kommt. Von Tieck machte ich einen Versuch, die Oberhofmeisterin Hardenberg **) zu finden. Ich erlangte aber bloß eine tiefe Kenntnis ——— *) Karl Aug. Böttiger, geb. 1760, † 1835, Archäolog und Direktor der Königl. Museen in Dresden. **) Henriette v. Hardenberg, geborene Gräfin Stolberg-Stolberg, geb. 1788, Oberhofmeisterin der Prinzessin Kunigunde von Sachsen. 88