< zurück      Inhalt      vor >                                          
[   Band 7 Brief 40:    Humboldt an Caroline    Ottmachau,  20. Junius 1821   ]


40. Humboldt an Caroline                    Ottmachau,  20. Junius 1821

Als ich heute früh aufstand, liebe Li, fiel mir gleich ein,
»wären’s Schwäne, wären weggeflogen« *); denn alle
fernen Berge waren mit Schnee bedeckt. Das Wetter
ist wirklich schrecklich.
Um 9 Uhr bekam ich Deinen lieben Brief vom 12. aus
Prag. Er hat also volle 8 Tage gebraucht. Ich bin ordentlich
erschrocken gewesen, zu sehen, daß der Weg vor Nachod so schlimm
und sogar gefährlich gewesen ist. Ich erinnerte mich dessen gar
nicht. Hätte ich gewußt, daß es so schlimm wäre, hätte ich Dich
doch gewiß begleitet, armes Kind. Es ist immer hübscher, auch
bei kleinen Gefahren, zusammen zu sein.
Es freut mich, daß Du einen Tag in Prag geblieben bist. Es ist
nicht mein angenehmster, aber gewiß mein merkwürdigster Aufent-
halt gewesen. Ich werde nie die Empfindungen vergessen, mit welchen
ich damals hinein- und hernach zu Dir nach Wien hinausfuhr.
Schreibe mir nur beizeiten, beste Seele, wann Du Karlsbad
wieder verlässest, damit ich Dir dann wieder zur rechten Zeit nach
Teplitz schreiben kann. Ich leugne nicht, daß ich der Zeit Flügel
wünsche, bis wir wieder beieinander sind. Der Aufenthalt war
hier so schön und süß mit Dir, und ich bleibe dabei, auch die Ein-
samkeit. Ich kann nicht leugnen, daß ich sie sehr liebe, und nur
so mit Dir und der lieben, guten Caroline sie ganz ungestört zu
genießen, war mir sehr lange nicht geworden. Wenn nur Dein
armes, liebes Köpfchen in den Bädern wieder ganz besser wird.
Es wäre sehr schlimm, wenn sich das Übel vorzugsweise dort hin-
zöge. In den äußeren Teilen kann man schon eher, wenn es sein
muß, Schmerzen leiden. Es greift doch nicht so umnittelbar das
eigentliche Empfindungsvermögen an.

———
*) Aus dem »Klaggesang von der edlen Frauen des Asan-Aga«.

                                                                       80