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[   Band 7 Brief 29:    Humboldt an Caroline    Ottmachau, 23. Julius 1820   ]


8—9 dort zu lesen. Ich habe den Euripides mit hier, den ich
lange nicht gelesen hatte. Neben viel Frostigem und Albernem
sind doch sehr schöne lyrische Stücke darin, auch Sentenzen und
einige Stellen von viel Wärme und Empfindung. In der Hecuba
ist vieles unendlich rührend, und die Schilderung des Opfers der
Polyxena ausnehmend schön. Ich liebte sonst den Euripides gar
nicht und stritt oft mit Schiller darüber, dem er vorzugsweise
gefiel. Es kam wirklich daher, daß er in der Tat moderner ist
und daß Schiller doch nicht sehr antik gestimmt war. Es war
das das Einzige, was ihm fehlte.
. . . Bei den Maultieren fällt mir ein, daß in unserm Schloß
hier ein Bischof, ein Graf Zinzendorff, die Phantasie gehabt hat,
mit einem Maultier immer die Treppe hinaufzureiten, und deshalb
die bequeme von außen, aber verdeckt angebrachte Treppe hat an-
legen lassen.


30. Caroline an Humboldt              Dresden, 28. Julius 1820

Dein süßer lieber Brief vom 20. aus Ottmachau hat mich
hier recht überrascht, teures Herz, denn ich empfing ihn
schon den Tag meiner Ankunft hier, den 25. Also:
»Willkommen hier in Ottmachau« usw. Auf solchen glänzenden
Empfang mit Saitenspiel und Gesang und der ganzen Schuljugend
war ich nicht präpariert. Aber du bist überall willkommen. Jemand
aus der Gegend von Halberstadt, den wir in Teplitz sahen, sagte
ganz eigentlich, die Provinz dort habe sich jahrelang auf Dich
gefreut und mit Kummer vernommen, daß Du Deine Dotation in
Schlesien empfangen hättest. Die Beschreibung, die Du von dem
Gut dort machst, ist ja sehr anziehend, und ich freue mich, es vielleicht
im künftigen Jahre zu sehen, wenn Du mich mitnimmst. Die

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