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[   Band 7 Brief 23:    Humboldt an Caroline    Tegel, 10. Julius 1820   ]


endlich lieb es mir auch ist, daß es bei ihnen so ist, aber wahr
bleibt es doch, das reine und ruhige Glück, die einfache Überein-
stimmung der inneren Empfindung mit der äußeren Lage, läßt
vieles im Charakter unentwickelt, und das Höchste und Anziehendste
kommt erst hervor, wenn diese Harmonie augenblicklich gestört wird.
Ich habe das früh empfunden, und es ist mir ordentlich eigen-
tümlich geworden, das Glück nicht so als das Ziel des Lebens an-
zusehen, und das Unglück nicht zu scheuen. Ich mag es sogar
wohl darin übertreiben. Aber ich habe auch dabei recht erfahren,
daß man das Glück erst dann findet, wenn man es gar nicht ge-
flissentlich sucht, denn es hat schwerlich je einen glücklicheren
Menschen auf Erden gegeben, als ich bis jetzt gewesen bin. Der
Grund alles meines Glücks bist ganz offenbar Du gewesen, liebes
Kind, doch kann ich nicht sagen, daß ich Dich gerade als Glück
gesucht habe. Ich hätte dasselbe für Dich empfunden, und mich
ebenso darin vertieft, wenn ich Dich nie hätte besitzen können, und
dann wäre es mir ebenso tiefe Quelle des Unglücks geworden, ob-
gleich, sowie man darüber denkt, man fühlt, daß diese Worte ganz
ihre Geltung vertauschen. Denn sowie etwas Großes in Geist
oder Empfindung, in Übereinstimmung mit seinem ganzen Wesen,
im Menschen zur Leidenschaft wird, die ihn unaufhörlich begleitet,
so ist er glücklich, er möchte auch äußerlich noch soviel darum ent-
behren oder leiden müssen. Das wahre Unglück ist immer Wider-
streit, und das gewöhnlich so genannte fängt erst an, wenn das
innere Leben nicht überwiegend im Menschen ist.
Daß die Kuppelbeleuchtung mit unserm Hochzeittag zusammen-
fällt, ist wirklich wie der Segen, womit das Schicksal einem das
Lebensziel unbewußt andeutet. Es ist gar nicht zu verkennen, daß
Rom auf unsere Schicksale und auf unser Inneres auf das wesent-
lichste eingewirkt hat, und noch als wir heirateten, lag es uns
ebenso fern als jeder andere Ort. Wir kommen sicherlich wieder

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