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[ Band 7 Brief 8: Humboldt an Caroline Tegel, 29. Mai 1820 ]
Wir haben seit meinem letzten Brief keinen anderen Besuch hier gehabt als Boyen *) und wieder Eichler zum Mittag Sonn- abend. Sie kamen etwa anderthalb Stunden vor Tisch, und wir sind sehr viel mit ihnen herumgegangen, erst das ganze Eigentum und dann noch tief in den Wald. Daß Du so gut schläfst, freut mich unendlich. Ich halte auf nichts so viel. Es wirkt auch, selbst wenn man sonst ganz gesund ist, nichts so auf die Heiterkeit des Gemüts und selbst auf den Verstand. Man ist viel klüger, wenn man ausgeschlafen hat. Dann finde ich es auch so grand, sich, was auch immer vor- gehen und vorgegangen sein möge in der Welt, hinzulegen und ruhig zu schlafen, als wenn man alles mit Verachtung ansähe. Überhaupt ist es gar nicht genug zu sagen, welche Vernunft Gott dadurch in die Welt gebracht hat, daß der Mensch zu gewissen Stunden essen und schlafen muß. Auch die unruhigsten Menschen werden da ganz ordentliche Leute, mit denen sich auskommen läßt, und alle, selbst die größesten Weltbegebenheiten wären anders, wenn diese menschlichen Epochen nicht immer regelmäßig das wilde Treiben kupierten. Du liebes Kind, daß Du lieber hier als in Karlsbad wärst! Wieviel lieber hätte auch ich Dich hier. Aber die Reise im ganzen laß Dir doch auch außer der Gesundheit nicht leid sein. Dresden ist doch sehr schön, und auch Teplitz und Karlsbad haben groß- artige und reizende Gegenden. Hier bringt es die Natur eben nicht weiter, als einen ohne Störung selbst angenehm zu umgeben, doch leugne ich nicht, hat für mich auch jede Natur noch mehr; wenn auch das Ganze nicht Schönheit oder Charakter hat, wirkt doch jeder einzelne Gegenstand immer auf dieselbe Weise wie die ganze Natur, Himmel, Wasser, Baumwuchs, wie dieselben Ele- ——— *) Leop. Herm. Ludw. v. Boyen, geb. 1756, † 1848, Kriegsminister bis 1819, erhielt unmittelbar vor Humboldt seinen Abschied. 16