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[   Band 7 Brief 7:    Caroline an Humboldt     Dresden, 29. Mai 1820   ]


Gedächtnis sogar hat dadurch gelitten. Sie jammert mich unbe-
schreiblich.
Meine Freude an der Galerie erneuert sich alle Tage, denn
beinah alle gehe ich hin. Aber auch mein Ärger. Denn trost-
loser gehalten sind wohl keine Bilder als diese. Der Rafael blät-
tert ab. Ja, wohl ist es einer der allerschönsten, allergrandiosesten
von allen. Kein Maler hat jemals eine Vision als solche, so wahr-
haft eine himmlische dargestellt. Keine unnütze Nebensache, nichts
stört die heilige Erscheinung. Das Bild in seinem eigentümlichen
Glanze muß von namenloser Wirkung gewesen sein. Ihm zur
Seite setze ich den Correggio in seiner ersten Manier mit den 4
Heiligen am Thron der Jungfrau. Auch er ist unaussprechlich schön.
Ilgen ist also in Berlin? Die armen Leute tun mir bei dem
mannigfachen Unglück, was sie betrifft, doch sehr leid. Im ganzen
doch ein mühevolles Leben, und an der Neige desselben nicht ein-
mal die Freude, ein gesundes Kind zu hinterlassen. Es ist recht
ein eigen Ding um Menschenschicksal und Glück, und wohin zuletzt
alles führt? Bestimmung des ewig ordnenden Wesens kann doch
dies Leben nicht sein, so ist es Übergang?
               »Wir wissen es, und dienen
               dem Ewigen durch jede Wandelung
               von Dämmerung empor zu Dämmerung«
Pfuel nicht zu sehen tut mir unendlich leid. Grüße ihn auf
das freundlichste von mir. Ein lieber und verständiger Mann, der
die Zeit recht tief begriffen hat.
Noch einmal schreibe ich von hier und dann, ach, aus Karls-
bad! Lebe wohl, süße Seele. Caroline und Gabrielle, deren Ge-
burtstag gestern war, umarmen Dich.
Ewig in innigster Liebe Dein.

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