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[ Band 7: Überblick ]
Am Tage nach der Entlassung hatte er begonnen, seine Bücher zu ordnen und sich in das Studium des Sanskrit zu versenken, das ihm einige Jahre später den »Bhagavad Gîtâ« zuführte, jenes erhabene Zwiegespräch zwischen dem indischen Helden und seinem Gott. Wir können begreifen, wie tief Humboldt von einer Welt- anschauung berührt ward, der er aus seiner innersten Natur her- aus schon von jeher gelebt hatte. Es ist derselbe kraftvolle Idea- lismus, der über Selbstsucht, Schmerz, Haß und Sorge hinweghebt und in der Verinnerlichung Frieden und Freude verleiht. Auch Humboldts Gemüt ist durchsonnt von jener »ruhigen Heiterkeit, aus der Einsicht, Erkenntnis und Vertiefung« hervorgehen. Die freien Stunden, die er dem Familienkreise widmete, sind gewürzt mit Scherz und Humor. Es war, als habe er mit all den Seinen durch diese Wendung der Dinge nur gewonnen. Auch die Trennungen zwischen dem Ehepaar sind jetzt seltener und kürzer, nur durch Badereisen Carolinens oder Pachtverhand- lungen auf den Gütern bedingt. Naturgemäß tritt nun auch in den Briefen beider das Politische mehr in den Hintergrund, und die kleinen Zufälle des täglichen Lebens nehmen einen breiteren Raum ein. Wem aber dieser Briefwechsel überhaupt etwas Blei- bendes gegeben hat, wer darin nicht nur eine »Fundgrube« für die Feststellung einzelner Ereignisse und Tatsachen und für Personen- beurteilung gesehen, sondern den Pulsschlag der tiefen großen Menschlichkeit gefühlt hat, die sich in den Charakteren des Hum- boldtschen Paares mit jedem Worte kund tut, der wird das kaum bedauern. Weltgeschichtliche Erlebnisse leihen selbst Menschen mittleren Kalibers etwas von ihrer Größe und geben ihnen eine Bedeutung, die nur allzu schnell wieder schwindet. Das Echte, das Kennzeichnende, ja das Überwältigende dieser beiden Naturen liegt gerade darin, daß sie sich nicht von der Erdenschwere der Alltäg- lichkeit herabziehen lassen, daß sie inmitten flüchtiger Begegnungen VIII