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[ Band 6 Brief 226: Humboldt an Caroline Berlin, 30. Julius 1819 ]
Ich ging also zu Gersdorff, dem Geheimrat Fritsch *) und Riemer **). Ich fand keinen. Gersdorff war eben nach Ems, wohin alles geht, abgereist. Dieser Wut auf Ems sollte man wirklich gründlich ein Ende machen. Wie ich nun so in der Stadt herumschlenderte und schon mit Gedanken umging, noch den Abend abzureisen, kam ich von ungefähr an Goethes Haus, ging hinein, und siehe da, er war ruhig zu Hause! Er war zwei Tage früher von Jena zurückgekommen. Ich brachte den ganzen Abend nun mit ihm zu. Er war heiterer und mitteilender und ungezwungener als ich ihn lange gefunden habe, und es hat mich wirklich sehr gefreut, ihn noch einmal so zu sehen. Er hat seinen Divan ***) eben vollendet, noch einen Anhang in Prosa über den Orient dazu gemacht, und sprach mit vieler Liebe von dieser Arbeit. Im Gesicht und in der körperlichen Haltung gealtert fand ich ihn wohl, allein schwach oder kränklich im geringsten nicht, er sprach nament- lich über sein Alter, schien aber noch auf ein sehr hohes zu rechnen. Das einzige, was ich mit einer Art Schmerz an ihm bemerkte, ist, daß er doch in seinem einsamen Leben sich so in sich zu ver- tiefen, in allen seinen Ideen, ohne in neuere Ansichten einzugehen, ehern zu werden und sich so zu beschränken scheint. So merkte ich deutlich, daß er mit der Kunst der Deutschen in Rom doch im Grunde unzufrieden ist. Er erwähnte Fohrs Kopf, Von Amsler gestochen, den er besitzt. Er lobte außerordentlich das eigentlich Technische des Stichs. Aber zugleich fand er sehr viel Mängel daran und im Grunde eine falsche Manier in Zeichnung und Behandlung. Einiges, das er von Wilhelm Schadow gesehen ——— *) Jakob Friedrich Freiherr v. Fritsch, Minister, geschätzter Berater der Herzogin Amalie. **) Friedrich Wilhelm Riemer, geb. 1774, † 1845. Bibliothekar in Weimar. ***) Westöstlicher Divan, in zwölf Büchern, seit 1814 einzeln gedichtet. Die ganze Sammlung erschien 1819. 580