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[   Band 6 Brief 215:    Caroline an Humboldt     Turtmann, 15. Junius 1819   ]


ward ganz rein und klar. Von Domo bis hinauf zum Dörfchen
Simplon ist der Weg, was man Schönes und zugleich Reizendes
sehen kann. Die blühendste und üppigste Vegetation, die köst-
lichsten Berge, die sich auf das Mannigfaltigste verschieben, unend-
lich großartig und schön zugleich. Einige Zeit vor Simplon nimmt dies
blühende Leben der Natur ab. Nach dem Dorfe fährt man noch
zwei Stunden hinauf, es wird immer öder, die Luft schneidender,
die Aussicht auf nichts mehr als zackigte mit Schnee bedeckte Berge,
kein Baum wächst mehr, nur spärlich Moos und niederes Kraut
und Alpenrosen. Endlich kommt man an die Barriere, und von
da an die Hinunterfahrt, wirklich schauerlich. Man fährt bis hin-
unter an den Rand eines schauerlichen Abgrundes, nur wenn man
tiefer an dem Berge kommt, fangen Tannenwälder an, die dann
sehr schön werden. Die südliche Seite des Berges hat Kastanien,
Nußbäume, Lorbeer und Myrte. Endlich gelangt man nach Brig,
wo man sehr freundlich deutsch bewillkommnet wird und ein sehr
reinliches Wirtshaus findet.
Ich nehme dies Blättchen mit, um es auf die Post zu geben,
wo es mir möglich ist. Hier sagten mir die Leute sehr naiv: »In
unserm Land gibts keine Poscht.«
Ich sehne mich nach Bern, wo ich wohl wieder einen Brief
von Dir finden werde.


216. Humboldt an Caroline                  Frankfurt, 21. Junius 1819

Ich bin gestern glücklich gewesen, liebe Li, ich habe Deine
beiden lieben Briefe aus Mailand bekommen. Ich komme
Dir höchstwahrscheinlich entgegen. Wenn mir alles nach
Wunsch gelingt, so treffe ich am 27. abends in Heilbronn ein und

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