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[ Band 6 Brief 206: Humboldt an Caroline Nassau, 21. Mai 1819 ]
206. Humboldt an Caroline Nassau, 21. Mai 1819 Ich sitze in derselben Stube, liebe Li, die wir hier zusammen bewohnten, die Sonne scheint freundlich ins Zimmer, und die alte Ruine liegt mir gegenüber. Aber wie anders ist alles, da Du nicht hier bist. Es ist sehr hübsch hier allein mit Stein. Ich bin gestern früh zwischen 5 und 6 aus Frankfurt weggefahren und war schon um 1/2 3 hier. Ich habe mich auch bloß bei Marschall in Wiesbaden eine halbe Stunde aufgehalten. Der Weg ist im Sommer viel schöner, Du wirst ihn jetzt bald wieder machen, süßes Kind, es ist derselbe als nach Ems. Stein fand ich im Turmzimmer, wo er sein Arbeitszimmer eingerichtet hat. Der Turm ist nun fertig, und soviel er nun einmal sein kann, ist er recht hübsch. Von außen schön sich ausnehmen kann er nie, da er einmal weder zum Gebäude paßt, noch hoch ist. Er kostet, wie er mir sagt, die innere Einrichtung des oberen Teils, die noch nicht gemacht ist, nicht ge- rechnet, etwa 50000 Gulden. Wir sind nach dem Essen bis zum Abend immer draußen gewesen und haben einen sehr schönen Spaziergang gemacht. Das Gespräch mit Stein geht nie aus, es finden sich unaufhörlich eine Menge Vorfälle und Dinge, an die es sich anknüpft, ohne dabei stehen zu bleiben. Er hat ganz un- streitig die klarste und parteiloseste Ansicht der Dinge wie sie sind, was vielleicht nicht einmal immer so sein Fall war, es aber gewiß jetzt ist. Er fühlt am meisten, was geschehen müßte, und ist selbst noch milde und vorsichtig in der Art, es herbeizuführen. Seine Unparteilichkeit sieht man besonders in allen seinen Räsonnements über den Adel und jetzt auch über die französische Angelegenheit, den Zustand Frankreichs im jetzigen Augenblick. Ich wollte sehr, Du sähest ihn noch, er spricht immer davon, und hat sich mit 544