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[ Band 6 Brief 202: Caroline an Humboldt Florenz, 10. Mai 1819 ]
202. Caroline an Humboldt Florenz, 10. Mai 1819 Ich habe Dir die Zeit her so wenig geschrieben, mein teuer- stes, geliebtestes Herz. Aber Gott weiß, daß ich es nicht gekonnt habe. Es kommt bei so einer Reise immer so viel zusammen, und wie gut und auch vernünftig die Mädchen sind, so kommt es doch zuletzt darauf hinaus, daß man alles selbst bedenken muß. Und Bedenken ist das eigentliche Machen. Dazu nun meine Gesundheit, meine Kräfte, die nicht im Verhältnis zu meinem Wollen sind, dann der Schmerz, die Trauer des Abschiedes von Rom! Dir sage ich alles, denn Du mißverstehst nie etwas. Du weißt, wie ich mich sehne zu Dir, und begreifst es doch, wie man sich sehnen kann und trauern um die ewig einzige Stadt, um das Verlassen des seligen blauen Himmels, der sie umfließt, und das Zurücklassen der geliebten Gräber. Es kommt alles darauf an, ob man lange lebt. Ich denke immer, wir kehren dann beide zu- sammen hin — sterben wir aber, nun, so kommen wir wohl hin, wo es noch schöner ist als in Rom. Ich habe Dir aus Perugia einige Zeilen geschrieben. Hast Du sie bekommen? Den 2. gingen wir nach Civita Castellana, den 3. nach Terni. Den 4. kamen wir nach Fuligno, nachdem wir mittags in Spoleto die schönen Bilder von Filippo Lippi im Dom und den wundervollen Fresco im Pallazzo Publico gesehen hatten. Den 5. fuhren wir nach Assisi hinauf. Der Vetturin hatte es übernommen, uns hinaufzuschaffen, was er auch mit Ochsen bewerkstelligte. Leider aber war das Wetter nicht günstig, und hätte ich nicht früher die einzige Kirche gesehen, so würde ich in den vier Stunden, die ich diesmal da war, der Dunkelheit der Beleuchtung wegen nur eine unvollständige Idee von den herrlichen Kunstwerken haben, die diese in ihrer Art einzige Kirche enthält. Der Mönch, der einen herumführt, und der Geschmack und Kunst- 537