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[ Band 6 Brief 198: Humboldt an Caroline Frankfurt, 3. Mai 1819 ]
198. Humboldt an Caroline Frankfurt, 3. Mai 1819 Mit mir ist alles beim alten, und ich lebe in einer sonder- baren Ungewißheit. Das Gehen nach Berlin ist eine wahre Krise in unserer Existenz. Ich brauche sie viel- leicht darum weniger zu fürchten, weil ich mir sie gar nicht wie einen Genuß, nur wie einen Kampf mit allen möglichen Schwierig- keiten denke. Es ist eine so schwierige Aufgabe für mich da zu lösen, so gar keine Hoffnung auf wahre Unterstützung, da unter denen, die sie geben müßten, nur eine wahre Einöde von dem ist, was sein sollte. Ich muß mir zugleich meine eigene Stellung bilden und zugleich doch eine von Anfang an haben, um zu wirken. Ich muß viele Dinge und Verhältnisse erst kennen lernen, und dennoch sie in dem Augenblick auch schon wieder bestimmen, kurz, in diesem Augenblick kommt es mir noch wie ein Chaos vor, wo man ohne die nötigen Hilfsmittel und außerhalb des wahren Standpunktes viel mehr wirken soll, als in einer gewöhnlichen Stelle vorkommt, und Erwartungen zu erfüllen hat, die teils übermäßig gespannt sind, teils aus gar nicht gutmütiger Absicht mit Fleiß so vorgestellt werden. Und bei dem allen kann ich bloß auf meine Persönlich- keit rechnen, auf die ich selbst nie einen so großen Wert gelegt habe. Auch verlasse ich selbst mich wirklich bloß auf meine einfache Art, die Dinge zu behandeln, auf Ruhe und Besonnenheit, und werde nur suchen, mit festem, ausharrendem Willen zu arbeiten. Caroline *) ist hier, und ich war schon zweimal bei ihr. Sie sehnt sich auch sehr, Dich zu sehen. Sie bleibt auf jeden Fall hier, um Dich abzuwarten. . . . Sie ist, wie Du sie immer gekannt hast, im Innern nämlich. Im Äußeren leider hat sie sich sehr zu ihrem Nachteil geändert. Sie ist so unförmlich dick, ihre Züge haben alle ehemalige Zartheit verloren, dabei zieht sie sich, wie es ——— *) v. Wolzogen. 531