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[ Band 6 Brief 194: Humboldt an Caroline Frankfurt, 12. April 1819 ]
Sie habe ich erst in diesem Jahre mehr und näher gesehen, und sie gewinnt dabei sehr. Doch hat sie eine gewisse Kälte und Unlebendigkeit und ist von manchen Seiten wie ummauert, so daß sie nicht auf ihn auf eine erweiternde Art einwirken kann, höchstens wohl auf eine manchmal, wenn er zu heftig ist, anhaltende und beruhigende. Hätte er eine Frau, wie Du bist, haben können, würde er unendlich mehr geworden sein. Denn er ist seinem Leben und seiner ursprünglichen Richtung nach zu sehr bloß dem Wirk- lichen im Leben zugewendet und hat nicht genug Freude und In- teresse am bloß reinen Denken und Empfinden, an der Form der Welt und der Menschen. Das ist aber nur im Grunde ein Mangel an dieser Gattung der Bildung. Denn sonst besitzt er eine große Tiefe und Weichheit des Gefühls, gewiß auch Stärke und Lebendigkeit der Phantasie und also Empfänglichkeit für Wissenschaft und Kunst; er hat auch sehr viel vom unmittelbaren Gebrauch ganz unabhängiges Wissen. Nur ist das alles nicht zur höchsten Richtung vereinigt, die es zu nehmen fähig wäre. Da ich ihn jetzt fast täglich gesehen und immer die ganzen Abende mit ihm zugebracht habe, so glaube ich ihn genau beurteilen zu können. Es ist mir immer bei ihm recht aufgefallen, welch ein nicht zu be- schreibender Vorzug es für einen Mann ist, eine Frau zu haben, die wahrhaft bildend auf ihn einwirkt. Je mehr er selbst ist, desto mehr wird er durch sie. Daß Du Rom verlässest, ist mir doch ein sehr weher Gedanke. Du bist nun volle zehn Jahre Deines Lebens, es wird wenigstens nicht viel daran fehlen, in Italien gewesen. Das ist mir ein großer Trost, und es ist gerade in die Zeit Deines Lebens ge- fallen, wo man am meisten das Schöne in sich aufnimmt. Selbst, daß Du erst die Kunstsachen in Frankreich, dann in Spanien sahest, war eine gut ineinandergreifende Folge. Die Dotationssache hat sich nicht entschieden, und Kerssenbrock 523