< zurück      Inhalt      vor >                                          
[   Band 6 Brief 192:    Humboldt an Caroline    Frankfurt, 2. April 1819   ]


In der Kotzebueschen Sache ist nichts Neues vorgegangen.
Der Täter lebt noch, allein die Ärzte halten seine Wunde durch
die Lunge doch von der Art, daß er nicht dabei leben bleiben
könnte. Er läßt sich viel aus Schillers Gedichten vorlesen. Was
in Zeitungen über seinen bisherigen Lebenswandel und Charakter
gesagt wird, ist alles zu seinem Lob. Er soll ein ausgezeichnet
sanfter, ruhiger, wahrheitsliebender, sittlicher Mensch gewesen sein.
Es ist im allereigentlichsten Verstande eine Tat der Schwärmerei.
Denn von Wahnsinn zeigt sich auch keine Spur. Außer der
Scheußlichkeit jedes Meuchelmordes ist es eine sehr unglückliche
Begebenheit, die sehr üble Folgen haben kann und wird. Ich
wußte nicht, daß Kotzebues Mutter (er starb 51 Jahr alt) noch
in Weimar lebt.
Die Länge meines hiesigen Aufenthalts ist sehr fatal. Sie
stimmt die Aufmerksamkeit herunter, macht die Leute wieder mut-
loser, bringt gewiß große Stagnation in allen mir bestimmten Ge-
schäften hervor und lähmt sie in jeder Art. Das Benehmen dessen,
dem alles allein zuzuschreiben ist, ist allerdings sehr kleinlich und
falsch und bringt mich auch auf immer mit ihm auseinander. Allein
das Wort, das er neulich zu August gesagt, läßt mich schließen,
daß er wieder Lust hat, wie sonst anzuknüpfen. Er ist ohne alle
Grundsätze, allen Charakter und ohne einige wahre Empfindung.
Ich habe Stein erzählt, daß Du eine große Leidenschaft für
das Spazierengehen hast und oft sehr früh aufstehst. Beides ehrt
und liebt er sehr und tadelt immer das Gegenteil an mir. Doch
bleibt er mir zu Liebe jetzt immer bis Mitternacht auf. Es wird
nämlich 1/2 11 zu Abend gegessen, bloß die Frau und Henriette.
Dabei bleibt er selten gegenwärtig. Aber wenn ich da bin, tut er
es. Er ist mir wirklich sehr gut.

                                                                       520