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[ Band 6 Brief 192: Humboldt an Caroline Frankfurt, 2. April 1819 ]
er sich bald vorkommt, wie ein Flüchtling, der nicht hätte fliehen sollen, bald wie ein Verzückter, der sich schämt, wenn ihn der nüchterne Verstand zurückführt, daß er sich leicht im Unrecht glaubt, und recht geflissentlich, um sich zu stärken, in die Reinheit seines Gewissens zurückkehren muß. Darum sind die, welche diese Freiheit lieben und nur in ihr ein wahres Dasein atmen, immer demütig, so- wie nicht leicht selbstsüchtig, weil sie das meiste, woran sich die Selbst- sucht heftet, nicht reizt. Dann ist auch ein Frauengemüt hierin sehr verschieden von dem eines Mannes. Eine Frau hat eine größere innere Sicherheit, weil sie eine größere Unschuld hat. Sie braucht auch die äußeren Verhältnisse nie so tief zu berühren, daß sie recht der Mauern inne würde, die sie von den inneren Emp- findungen scheiden. Es gibt nur ein Verhältnis, wo auch das reinste und edelste weibliche Wesen in der schuldlosesten Freiheit leicht mit Unsicherheit und irriger Ahndung des Unrechts geht, wenn sie eine Neigung in sich trägt, die nicht die ist, die das Schick- sal ihr angewiesen hat. Das ist aber auch dann das Zarteste und Rührendste, was es in der Natur gibt. So ist es also natürlich, daß die guten Kinder uns nie ganz begreifen, auch oft mit uns unzufrieden sein werden. So gewiß, wenn wir einmal, auch wenn hier nichts zu wirken wäre, Deutschland verließen. Sie werden sich immer einbilden, daß man auf ihre Weise glücklich sein müßte, und es im Inneren zum Vorwurf machen, daß man etwas anderes sucht. Es gibt nur unendlich wenige Menschen, die, wenn sie ernstlich und tief lieben, eigentlich darauf denken und dahin streben, den anderen auf seine Weise glücklich zu machen. Viel scheinbares Glück in dieser Art kommt nur von der Lauheit der Liebe her, der wenig daran liegt, daß der andere anders als er selbst ist. Darum ist es so unendlich wahr, daß die Liebe sich nur durch Liebe messen läßt, nur nach sich, nicht nach ihren Äußerungen beurteilen läßt, und man kann sehr glücklich sein, wenn einen auch die Liebe viel ent- 518